: Einkaufszentrum Nordsee-Mitte
■ Doch Helgoland hält auch für Langzeiturlauber Abenteuer bereit, erlebte Kaija Kutter
Fast zu bedauern sind die Tagesgäste, die nach fünfstündiger Anreise per Bus und Schiff so gegen 12 Uhr die Ladenpromenaden entlangschlendern. Zollfrei einkaufen, Tabak, Whisky, Käse, Butter, Parfüm und Lakritze. Erst im sogenannten „Unterland“, dann, nach Treppenaufstieg oder Fahrstuhlfahrt (80 Pfennig), im „Oberland“. Der Spazierweg zur berühmten „Langen Anna“ ist nur 1500 Meter kurz und im Unterschied zu früher kommt Tourist auch nicht mehr bis zur Felskante an sie heran. Der alte Pfad ist abgesperrt, Helgoland bröckelt, Stückchen für Stückchen. „Kriegsfolgen“ sagen die Alteingessenen.
Die rauhe Nordsee tief unten wird von Betonwällen abgehalten, die noch Kaiser Willem errichten ließ, wenige Jahre nachdem der rote Fels von England gegen Sansibar eingetauscht wurde. Ab 1945 war die Insel evakuiert und wurde von der englischen Luftwaffe als Übungsziel benutzt, bis sie 1952 an Deutschland zurückgegeben wurde. Das untere Ufer an der Westseite ist für Menschen gesperrt, hier gehört Helgoland den Vögeln. Das Kreischen der am Fels lebenden Möwen und Lummen erinnert an Babyschreie, der neue Touri-Pfad aus rotem Backstein mit seinen Aussichtstreppchen an einen Schulhof.
Mehr Abenteuer gibt's für Tagestouristen nicht, denn eine Stunde ist vergangen, und bevor das Fährschiff wieder loslegt, muß noch in einem der mittelmäßigen Restaurants panierter Fisch gegessen und Schnaps gekauft werden. Die zollfreie Ware wird im Südhafen palettenweise angeliefert und verläßt in kleinen Plastiktüten das Land. Bier und Berliner an Deck der weißen Dampfer, „First Lady“, „Wappen von Hamburg“, „Wilhelmshafen“ und wie sie alle heißen, entschädigen für den Mangel an Erlebnis im Einkaufzentrum Helgoland. Und das sogenannte Ein- und Ausbooten - das eigentlich Aufregende an dem Inselkurztrip. Weil der Hafen für die großen Schiffe zu flach ist, holen die Helgoländer ihre Gäste in kleinen Holzbooten ab. Bei passender Wetterlage kann die Kurzüberfahrt durchaus mit einer Wildwasserfahrt auf dem Dom konkurrieren.
Kenner Helgolands bleiben länger, sie werden auch „Kurgäste“ genannt. Der Besitz einer Kurkarte nebst Inselkarte (91 Mark für acht Tage) berechtigt zur Überfahrt auf die „Düne“, ein kleines Eiland, das im 18. Jahrhundert durch eine Sturmflut abgetrennt wurde. Hier gibt es Strand satt, und wer im Strandkorb oder einer Dünenmulde Windschatten findet, kann es bei einer Flasche „Impi“-Sekt (8 Mark im Dünenrestaurant) bestimmt solange aushalten, daß er die letzte offizielle Fähre verpaßt. Aber kein Problem, für drei Mark schippert der Kapitän einer Privatfähre den Säumigen auch nach 18 Uhr noch zurück. Allerdings wird das Seebad in der Vorsaison von Rentnern bevorzugt, spielende Kinder am Strand sucht der Betrachter vergeblich, und Burgenbauen ist verboten.
Abenteuer gibt's für Längerurlauber auch auf Helgoland selbst. Eine Führung durch die noch existierenden Bunker im Felsen erinnert eindruckvoll an das Kriegsgeschehen aus der Sicht der Zivilbevölkerung. Ein Teil der urspünglich 14 Kilometer langen Bunkeranlage wurde mit der „Kuba-Krise“ 1962 sogar reaktiviert. Heute dient der der Öffentlichkeit zugängliche Teil nur noch dem Tourismus. Weil die britischen Bomber bei ihrem Anflug auf Hamburg, Dresden, Köln und Berlin die Nordseeinsel überflogen, war dort im Zweiten Weltkrieg ständig Bombenalarm.
An den Krieg erinnert auch die lange Mole an der Nordküste, die in den 30er Jahren entstand, als die Nazis Helgoland zum U-Boot-Stützpunkt ausbauten. Bei Ebbe kann sie nach einem Kletterspaziergang am feuchten Felsufer sogar zu Fuß erreicht werden. Aber Vorsicht, hier hat die ein oder andere Silbermöwe ihr Nest. Die sorgt mit versierten Scheinangriffen dafür, daß der den Vögeln vorbehaltene Teil der Insel tourifrei bleibt.
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