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DDT wieder frisch auf den Tisch

■ Neue Pestizidrichtlinie der EU setzt Grenzwerte hoch

Berlin (taz) – Des Nachts sind alle Richtlinien grau. Gestern morgen in aller Herrgottsfrühe haben die EU-Landwirtschaftsminister in Luxemburg die weitere Vergiftung des europäischen Trinkwassers beschlossen. Pestizide wie Atrazin, Lindan und DDT dürfen nach einer neuen Richtlinie künftig mit Billigung der EU ins Grundwasser gelangen. Für einzelne Gifte könnte die Belastung bis zu 2.000mal höher liegen als bislang erlaubt. Und 70 Prozent der 340 Millionen Europäer beziehen ihr Trinkwasser aus dem Grundwasser.

Die Mehrheit der europäischen Landwirtschaftsminister hat sich bei der Abstimmung in Luxemburg die Position der chemischen Industrie zu eigen gemacht. Deren Lobbyist bei der EU, Bruce Joblin, hatte gesagt: „Die Präsenz eines Pestizids im Trinkwasser bedeutet noch keine Gesundheitsgefahr.“

Die Landwirtschaftsminister formulierten nur eine Bedingung: Das jeweilige Mitgliedsland muß das Gift im Trinkwasser für gesundheitlich nicht relevant erklären. Ein Umweltverträglichkeitsnachweis für die Pestizide ist auch nicht erforderlich. „Und wer holt das Gift dann wieder raus, wenn es einmal im Grundwasser angelangt ist?“ fiel Jörg Naumann von Greenpeace nur noch ein.

Währenddessen steigt die Belastung der europäischen Gewässer mit Pestiziden weiter. Über 22.000 Tonnen Gift wurden 1993 auf den deutschen Äckern versprüht. Schon heute sind nach einer niederländischen Studie 65 Prozent des Grundwassers unter landwirtschaftlich genutzten Flächen in der EU verseucht. Und der Bundesverband der Deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW) hat kürzlich vorgerechnet, daß eine Vergiftung für 10 Mark häufig Reinigungskosten für die Wasserwerke in Höhe von 200.000 Mark verursacht. Der BGW nannte die Entscheidung der Minister denn auch einen Skandal.

Der deutsche Landwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU) stimmte mit seinem niederländischen Kollegen zwar gegen die Richtlinie, erreichte aber keine Sperrminorität. Borchert hatte öffentlich Widerstand gegen die Richtlinie versprochen und auf die Unterstützung von Dänemark und Italien gehofft. Ein Veto sei aber rechtlich nicht möglich gewesen, hieß es im Bundeslandwirtschaftsministerium.

Borchert verwies gestern auf die erreichten Ausnahmeregelungen. Man habe in die Pestizidrichtlinie eine sogenannte „opting out“-Klausel aufgenommen, die es Deutschland ermögliche, vorläufig an den Grenzwerten der Trinkwasserrichtlinie festzuhalten. Vor allem muß die Bundesrepublik die Zulassung eines Pestizids in einem Nachbarland nicht automatisch mitvollziehen.

Geregelt ist das alles im neuen „Anhang VI“ der Pestizidrichtlinie. In ihm wird festgelegt, welche Pestizide unter welchen Umständen in Europa in Verkehr gebracht werden dürfen. Die chemische Industrie hatte gefordert, auch in Deutschland bereits verbotene Pestizide wiederzuzulassen. Der bislang gültige Trinkwassergrenzwert von 0,1 Mikrogramm eines Pestizids pro Liter und 0,5 Mikrogramm für alle Pestizide zusammen sollte entweder kein Kriterium für die Zulassung der Gifte auf dem europäischen Markt sein oder einfach geändert werden. Der Grund: Ein Drittel bis die Hälfte der heute gebräuchlichen Mittel müßten sonst verboten werden. Hermann-Josef Tenhagen

Foto: Mike Schröder/Argus Seiten 7 und 10

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