■ Mit Rußlands Privatisierung auf du und du: Das Ende vom Anfang
Berlin (taz) – In Rußland endet heute, nach anderthalb Jahren, die erste Phase der Industrie-Privatisierung. Sehr viel schneller als von westlichen Experten erwartet, ist dabei die russische Wirtschaft entstaatlicht worden. 80 Prozent der Kleinbetriebe wurden privatisiert. Zwei Drittel aller Beschäftigten arbeiten heute im Privatsektor. 50 Millionen Russen halten Aktien von fast 20.000 Mittel- und Großbetrieben. „Damit haben wir dem Sowjetsystem das Rückgrat gebrochen“, jubelt Privatisierungsminister Anatolij Tschubais.
Von westlichen Kapitalisten war die sogenannte Voucher- Privatisierung heftig kritisiert worden, weil sie die Eigentumsrechte am Produktionskapital breit unters Volk streute: Jeder Bürger, vom Baby bis zur Rentnerin, bekam einen Privatisierungsgutschein (Voucher), für den er Aktien kaufen konnte. Das bringe den Betrieben letztlich nichts, hieß es: kein Kapital für notwendige Investitionen und keine Kontrolle der Manager, weil die Russen ja eh nichts davon verstünden.
Das zweite Argument hat das geschmähte Volk inzwischen widerlegt: Die neuen Aktionäre interessieren sich sehr wohl für ihre Firmen; für manch eine Hauptversammlung (zum Beispiel beim Automobilhersteller Sil in Moskau) mußte ein Fußballstadion angemietet werden. Und bei zehn Prozent der privatisierten Betriebe wechselte die Aktionärsversammlung das alte Management wegen Unfähigkeit aus. Völlig unterschätzt wurde im Westen auch die psychologische Wirkung: Erstmals hatte „das Volk“ tatsächlich das Gefühl, am Reformprozeß beteiligt zu sein.
Nach der ersten Stufe der Privatisierung, in der zumeist mindestens 51 Prozent der Anteile in die Hände von Belegschaft und Management gelangten, darüber hinausgehende Anteile auf Auktionen gegen Voucher verkauft wurden, sollen nun Aktien auch ganz direkt gegen Cash verkauft werden dürfen. Denn darin hatten die westlichen Warner recht: Der allfällige Kapitalmangel verschärft die Transformationskrise: Zusammenbrechende Anlagen können nicht erneuert werden. Und oft reicht das vorhandene Geld nicht einmal aus, um für die Produktion die notwendigen Rohstoffe oder Vorprodukte einzukaufen. Die russische Wirtschaft, so das neue Etikett der US-Amerikaner, befindet sich in einer Non-payment-Crisis. Die soll nun, in der zweiten Stufe der Privatisierung ab heute nach und nach beseitigt werden.
Auch für die noch staatlichen großen Betriebe der Energiewirtschaft werden ab sofort Aktionäre gesucht – gerne auch ausländische. Gasprom, der weltgrößte Erdgas-Konzern, und Lukoil, Rußlands größte Ölgesellschaft, bieten ihre Aktien an. Die Giganten Norilsk Nikel und United Energy Systems verkaufen Anteile. Und auch die berühmte Fluggesellschaft Aeroflot sucht reiche Russen und kapitalkräftige Ausländer als Investoren.
Tschubais will außerdem die Rechte der Aktionäre gegenüber der Bürokratie stärken, die sich noch immer vorbehält, zum Beispiel über den Konkurs einer Firma und die Schließung von Fabriken zu entscheiden. Zudem will er durchsetzen, daß die Unternehmen die zugehörigen Grundstücke kaufen und beleihen können.
Der Erfolg der zweiten Privatisierungsrunde wird davon abhängen, ob sich die Bürokraten tatsächlich legal entmachten lassen – und die Belegschaften bereit sind, einen Teil ihrer Aktien und damit der Mitbestimmung an Kapitalisten zu verkaufen. Donata Riedel
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