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Die erste Heimkehr von Jassir Arafat

Der PLO-Chef hat seine Reise nach Gaza im Alleingang organisiert und viele arabische Politiker verärgert. Auch seine Hoffnung auf Jubeldemonstrationen erfüllte sich nicht  ■ Aus Tunis Khalil Abied

Über 29 Jahre lang hat Jassir Arafat ein Land nur verlassen, um in einem anderen ins Exil zu gehen. Gestern war das zum ersten Mal seit dem Beginn der palästinensischen Revolution anders: da reiste er in Tunesien ab, um in seine Heimat zurückzukehren.

Als Arafat am frühen Morgen am tunesischen Flughafen ankam, war er mit seiner traditionellen dunkelgrünen Uniform gekleidet und hatte die schwarzweiße „Kuffeyah“ um den Kopf gewickelt. An seiner Hüfte trug er sein ewiges „Kleidungsstück“, die „Colt-Pistole“. Der ergraute PLO-Chef, der als Kind geflohen war, wollte mit den Accessoires des „Revolutionärs“ zurückkehren. Begleitet wurde er von nur zwei PLO-Mitarbeitern, Zakhrya Al Agha, dem palästinensischen „Bauminister“, und Merwan Kanafani, seinem Pressesprecher. Um ihn herum waren zehn Leibwächter, in den Uniformen der palästinensischen Polizei. Kein tunesischer Offizieller begleitete Arafat zum Flughafen. Keiner seiner Kampfkameraden in der PLO kam, um sich zu verabschieden.

Die Tatsache, daß der PLO- Chef völlig allein entschieden hat, nach Gaza und Jericho zu reisen, hat viele PLO-Kameraden sowie arabische Präsidenten verärgert. Als klar wurde, daß selbst Mitglieder des PLO-Exekutivkomitees nicht mitreisen würden, machte Arafat gar nicht erst den Versuch, sie umzustimmen. Offenbar wollte er seine Rückkehr allein zelebrieren. „Wir sind an Arafats Alleinherrschaft gewöhnt. Aber diesmal hat er alle Vernunftmäßigkeiten überschritten“, sagte ein Mitglied des PLO-Exekutivkomitees. Auch die tunesische Regierung, die eigentlich am Donnerstag abend eine Abschiedszeremonie für Arafat organisieren wollte, kehrte ihm den Rücken: Im allerletzten Moment setzte sie die Zeremonie ab. Ähnlich handelte der ägyptische Präsident Husni Mubarak, den Arafat auf der Durchreise besuchen wollte: Im letzten Moment sagte Mubaraks Büro ab.

„Der Führer Arafat wird nach seinem Besuch in den palästinensischen Gebieten am 6. Juli nach Paris fahren, wo er den Unesco-Friedenspreis entgegennimmt. Er wird sich mit dem israelischen Premierminister Jitzhak Rabin und seinem Außenminister Schimon Peres treffen“, erklärte Al Agha, der Pressesprecher. Arafat selbst weigerte sich, mit irgend jemandem, Journalisten eingeschlossen, zu reden.

Arafats Hoffnung, die Heimkehr als Mittel gegen seine Kritiker einzusetzen, hat sich nicht erfüllt. Nur ein paar tausend Palästinenser gingen für den Heimkehrer auf die Straßen. Immerhin leben in Gaza fast 850.000 PalästinenserInnen und in Jericho 35.000.

Arafat verbrachte einen Teil seiner Kindheit im Gaza-Streifen. Dort und in den Flüchtlingslagern entstand sein Traum von der Rückkehr – genau wie bei Tausenden anderer palästinensischer Flüchtlinge. Obwohl das Abkommen ihnen nur eine Teilautonomie gibt, hoffen sie darauf, daß sich früher oder später ein eigener Staat daraus entwickelt.

Für den PLO-Chef ist die Reise der Beginn einer neuen Phase. Er wird nicht mehr der „Revolutionär“ sein, der seine Heimat befreien will, sondern der Staatsmann, der den Wiederaufbau seines Landes leitet. Als Student hatte Arafat in Ägypten mit anderen PalästinenserInnen eine Befreiungsbewegung gegründet. Die algerische Revolution, die damals gegen den französischen Kolonialismus kämpfte, und die gegen die USA kämpfenden vietnamesischen Krieger waren ihr Vorbild. Zur Finanzierung ihrer Bewegung vereinbarten die Gründer der Organisation, die später den Namen „Fatah“ trug, in die Golfländer auszuwandern. Dort wollten sie Geld für die benötigten Waffen sammeln. In der Wüste trafen sie Palästinenser, die unter dem Exilleben litten und genau wie sie selbst von der Rückkehr ins verlorene „Paradies“ träumten. – Am ersten Januar 1965 feuerten Arafats Kameraden das erste „Geschoß“ auf Israel. Damals begann eine neue Etappe in der Geschichte des palästinensisch-israelischen Konflikts. Die Israelis, die für lange Zeit die Existenz der Palästinenser nicht anerkennen wollten, mußten ihre Meinung ändern. Die Palästinenser, deren ursprüngliches Ziel die Vernichtung Israels war, mußten die Existenz Israels anerkennen. Aber der Weg des „Pragmatismus“ hat beide Seiten viele Tränen und Blut gekostet.

Auf palästinensischer Seite war Arafat, der Führer seit 1968, der Mann, der die schwierige und die für seine Landsleute schmerzvolle Entscheidung getroffen hatte. Er war der Mann, der Mitte der 70er Jahre die Lösung, „in Palästina zwei Staaten für zwei Völker zu gründen“, vorschlug. Obwohl diese Lösung für viele Palästinenser eine unerträgliche Konzession war, konnte Arafat eine Mehrheit hinter sich vereinigen.

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