Wer zu spät kommt, muß Memoiren schreiben

■ Honeckers Memoiren, geschrieben im Knast von Berlin-Moabit, wurden gestern präsentiert / Der frühere Staatschef sieht sich als Opfer einer Moskauer Intrige

Berlin (taz) – Der Blick geht zurück, voller Zorn: „Die Opferung der DDR auf dem Altar des von Gorbatschow so eifrig verfochtenen ,europäischen Hauses‘ ist für mich, wie für viele andere, das schmerzlichste in meinem Leben.“ Der dies schrieb, ist jüngst verstorben. Bis zuletzt hatte sich der frühere Staatsratsvorsitzende der DDR, Erich Honecker, dem großen Reformer aus der damaligen Sowjetunion widersetzt. Ohne Erfolg. Post mortem schlägt Honecker nun zurück, in seinen „Moabiter Notizen“, die der Verlag „edition ost“ gestern in Berlin im früheren Presse- und Informationszentrum der DDR vorstellte.

Vorsichtig nennt der Verlag die Aufzeichnungen des Verstorbenen „Honeckers letztes Buch. Keine Autobiographie, keine Abrechnung“. So ganz trifft das nicht zu. Schon auf Seite zwölf der Notizen ist nachzulesen, daß die „Opferung der DDR“ nur möglich wurde „wegen der durch Tradition und Disziplin geprägten Haltung gegenüber Moskau, selbst dann, als man dort nicht mehr bereit war, den Sozialismus zu verteidigen“. Schlimmer noch: möglich war dies nur, „weil Teile unserer Partei an der Beseitigung des Sozialismus objektiv mitgewirkt haben, darunter sogar einige bewußte Verräter, die sich heute damit brüsten, durch ihre jahrelangen Kontakte zur BRD den Weg für die Annexion der DDR mitgebahnt zu haben“.

Daß die Aussagen Honeckers „historisch anfechtbar“ sind, räumt der Geschäftsführer des Verlages gerne ein. Seine Ausführungen seien „verkürzt gesagt, eine Dolchstoßlegende“ – der immer um Reputation bemühte DDR- Lenker sehe sich selbst als Opfer eines von Moskau aus gestrickten Komplotts.

Rund 250 Seiten umfassen die „Moabiter Notizen“. Etwa achtzig davon hat Honecker in der Haftanstalt Berlin-Moabit geschrieben. Ergänzt werden diese durch ein ellenlanges Interview, wobei offenbleibt, ob das Gespräch in Berlin, in Moskau oder im chilenischen Asyl geführt wurde. Auch dem Verleger ist dies unbekannt. Das Interview war Teil eines Paketes, das über einen Vertrauten der Familie Honecker an den Verlag herangetragen wurde.

Über die Hälfte des Buches machen allerdings die Niederschriften diverser Gespräche Honeckers mit den Top ten der bundesrepublikanischen politischen Elite aus. Alle dokumentieren sie den Staatsbesuch Honeckers 1987 in der Bundesrepublik. Sie sind Zeugnis dafür, daß Erich Honecker auch noch vier Jahre nach seinem Sturz bemüht war, das Bild des großen Staatsmanns aufrechtzuerhalten. Der Klappentext der Moabiter Notizen verspricht nicht zuwenig: „Man wird keine Zeile finden, die der kapitalistischen Ausbeutergesellschaft, deren Ideologie oder ,Moral‘ Zugeständnisse macht.“ Wolfgang Gast