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Haftstrafen im Kurdenprozeß

■ Münchner Gericht weist im Prozeß um Botschaftsbesetzung den Vorwurf der Nötigung der Bundesregierung zurück

Berlin (taz/AFP/AP) – Fast auf den Tag genau vor einem Jahr besetzten im Rahmen einer europaweiten Protestaktion gegen deutsche Militärhilfe an die Türkei 13 bewaffnete Kurden das türkische Generalkonsulat in München. Sie hielten 21 Menschen als Geiseln fest und verlangten von Bundeskanzler Kohl, er solle im deutschen Fernsehen die Türkei auffordern, den „Krieg gegen die Kurden“ endlich zu beenden. Andernfalls würden die Geiseln erschossen werden. Damit war die ganze Sache ein Staatsschutzdelikt geworden, und die Bundesanwaltschaft klagte wegen der Nötigung eines Verfassungsorganes.

Gestern endete dieser Prozeß nach 25 Verhandlungstagen vor dem bayerischen Obersten Landesgericht. Neun Männer wurden wegen gemeinschaftlicher Geiselnahme zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Drei weitere, die zur Tatzeit 20 Jahre alt waren, wurden nach dem Jugendstrafrecht, ein junger Kurde, der sich als „Türöffner“ betätigte, wegen Beihilfe zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Den Vorwurf der Nötigung eines Verfassungsorgans akzeptierte das Gericht nicht, weil die jungen Kurden die Geiseln auch ohne Fernseherklärung nach 14 Stunden freiließen. Die Bundesanwaltschaft ließ gestern noch offen, ob sie diese Begründung akzeptiert oder in Berufung gehen wird. Ihre beiden Vertreter hatten für die Angeklagten zwischen vier und sechseinhalb Jahren verlangt.

In der Urteilsbegründung hob der Vorsitzende Richter Ermin Brießmann das „außerordentlich positive Ziel“ der Angeklagten hervor. Als strafmindernd bewertete er, daß die Kurden aus einem „sie persönlich bedrängenden Motiv“ heraus handelten, um die Situation ihres Volkes in der Türkei zu erleichtern. Dabei hätten sie unter „erheblichem Handlungsdruck“ gestanden. Ohnmachtsgefühle und Hilflosigkeit hätten in ihnen den Wunsch geweckt, „irgend etwas Wirksames zu tun“. Außerdem hätten sie versucht, die Geiseln „im Rahmen des möglichen zu schonen“. Andererseits, so der Richter, hätten die Angeklagten bei der Stürmung der Botschaft eine massive Gefährdung ihrer Geiseln in Kauf genommen und alle in Deutschland lebenden Kurden als „Terroristen diskreditiert“. Da die Gewaltbereitschaft in der politischen Auseinandersetzung deutlich angewachsen sei, müsse sich der Gedanke der „Generalprävention“ aber als „erheblich strafverschärfend“ auswirken. Die Angeklagten quittierten das Urteil mit erhobenen Fäusten und dem Ruf, „Kurdistan wird ein Grab für die Faschisten“.

Verteidigt wurden die Kurden von 26 AnwältInnen, darunter Angelika Lex und die renommierte Kanzlei Hartmut Wächtler und Kollegen. Während Wächtler von einem „sehr abgewogenen Urteil“ sprach, daß sich wohltuend vom „Propagandageschrei der Politiker“ abhebt, bewertete Frau Lex den Richterspruch als „politisches Urteil“. Die Verteidigung hatte für fünf Angeklagte höchstens zwei Jahre gefordert, für den Rest Freispruch. Auch Anwältin Andrea Behm von der Kanzlei Wächtler kritisierte, daß das Gericht einen Beweisantrag für die deutsche Waffenhilfe an die Türkei nicht zugelassen habe. Er sollte beweisen, daß die Angeklagten quasi in Notwehr gehandelt hätten. Auch die Verteidigung prüfe derzeit, ob sie Revision einlegt. aku

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