: Schröders Sparfieber verschlägt SPD die Sprache
■ Wenig wurde den Niedersachsen versprochen, vieles davon schon gekippt zurückgenommen
Hannover Allzuviel haben die Sozialdemokraten den Niedersachsen vor der jüngsten Landtagswahl nicht versprochen. Sie konzentrierten ihre Kräfte auf ihr Zugpferd Gerhard Schröder, den Regierungschef. Kaum im Amt, macht sich die neue SPD-Alleinregierung daran, auch das wenige Zugesagte zurückzunehmen. Keine neuen Lehrer, keine Wohnungsbauprogramme für zwei Jahre, keine höheren Zuschüsse für Kindergartenpersonal – diese und viele andere Beschlüsse und weitere Prüfaufträge der Regierung Schröder haben breite Proteste bei Opposition, Gewerkschaften und Verbänden ausgelöst. Und die Sozialdemokraten, die jetzt als „Wahlbetrüger“ dastehen, schweigen beharrlich, als habe das Sparfieber ihnen die Sprache verschlagen.
Im einem Gasthaus mit dem schönen Namen „Waldkater“ ging die Regierung vorige Woche in Klausur, um gut zwei Milliarden Mark bei den vorgesehenen Ausgaben für den Landeshaushalt 1995 zu kappen. Gerade ein Drittel wurde im ersten Schritt erreicht. Die Katerstimmung folgte auf dem Fuße. Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye scheiterte schnell mit dem Versuch, die Öffentlichkeit mit allgemeinen Einsparsummen ohne konkrete Details abzuspeisen. Finanzminister Hinrich Swieter zog es vor, ein Spaßbad auf der Insel Wangerooge einzuweihen. Dies soll er inzwischen bereuen.
In der SPD-Fraktion wird fieberhaft gearbeitet, um die Beschlüsse des Kabinetts auf mögliche Korrekturen zu überprüfen. „Nicht die Regierung, sondern der Landtag mit der Mehrheit der SPD hat das letzte Wort“, sagt eine Sozialdemokratin. Doch laut mag niemand aussprechen, was in der SPD heftig diskutiert wird. „Eisernes Sparen ja, aber doch nicht so konzeptionslos mit dem Rasenmäher“, sagt ein Genosse. Es sei falsch zu glauben, die SPD könne den Bruch zentraler Wahlversprechen ohne nähere politische Begründung allein mit dem Hinweis auf den seit langem bekannten Sparzwang durchstehen.
Kritik trifft auch den Ministerpräsidenten selbst. „Schröder will wohl als oberster Sparer der Nation in die Geschichte eingehen“, spottet ein Parteifreund. Mit der Losung „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ habe er den Wahlkampf bestritten. Jetzt würden sogar sämtliche Investitionen des Landes storniert, nach der neuen Devise „Sparen, Sparen, Sparen“. Fraglich sei jedoch, ob die SPD-Basis hinnehme, daß der Rotstift gerade bei Bildung und Soziales -„den Schlüsselbereichen von SPD-Politik“ – angesetzt werde.
Schröder wolle in jedem Fall jetzt testen, wie weit er gehen könne, sagt ein anderer Genosse. Viele SPD-Politiker im Landtag fürchten angesichts der Folgen des Sparkurses um ihre Mandate zu Hause. Denn im Herbst 1996 sind bereits Kommunalwahlen. Ganz zu schweigen von der wichtigsten Wahl in diesem Jahr: Wenn Schröders Kabinett im September in einer zweiten Klausur den rigorosen Sparkurs festzieht, steht die Bundestagswahl vor der Tür. Kommentar in der SPD: „Damit tut Schröder seinem Kanzlerkandidaten gewiß keinen Gefallen.“
Andreas Möser, dpa
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen