: Der Kleiderbügel, der bist du
■ „No Longer Readymade“ von Meg Stuart und Damaged Goods beim Sommertheater-Festival
Die vier Türen bleiben geschlossen, die zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer einsam, die leere Bühne ist am Ende übersät mit kunterbuntem Wohlstandsmüll, darunter auch der Programmfolder des Sommertheaters. Denn in diesem Zusammenhang präsentierten die New Yorker Choreographin Meg Stuart und ihr EnsembleDamaged Goods den Hamburgern das Tanzstück No Longer Readymade.
Doch zunächst steht da nur ein Mann, der den Kopf schüttelt, immer heftiger. Die Konturen von Profil und Frontale verwischen, es beginnt ihn am ganzen Leib zu schütteln, hierhin, dorthin weisen die hektischen Hände. Die in der Bewegung verzerrten Gesichtszüge erinnern an Portraits des Malers Francis Bacon. Der Mann kommt beim Versuch, sich in alle Richtungen gleichzeitig zu bewegen, überhaupt nicht mehr vom Fleck.
Bewegen, aber nicht wissen wohin; etwas spüren, aber nicht begreifen, was; die Nähe des anderen suchen, aber nicht wissen, wie; sich selbst umarmen, und sich doch nicht wärmen – bei No Longer Readymade fühlt man sich so daheim wie unter einer Brücke. Was sie besitzen, tragen die Menschen am Leibe.
Einmal macht Meg Stuart Inventur: Sie hat ein abgeschabtes Jackett erobert, kramt in den Taschen, wühlt Habseligkeiten von der linken in die rechte Jackentasche, läßt den überflüssigen Besitz – Papierfetzen, Festivalprogramm, Stadtplan, Drähte, Chipstüte, Münzen, etc. – durch die Hände wandern, bis sie umringt ist von buntem Plunder und nur noch ratlos das Jackett in Händen hält, es ausschüttelt, glättet, aufrollt, verlustängstlich an sich preßt, ausschüttelt, glättet ... Geradezu komisch, als ihr ein Tänzer die kulturelle Errungenschaft eines Kleiderbügels zur Hand gibt und sie dessen Funktion begreift.
Aber was dann? Hilfesuchend blickt sie sich um und hakt sich die Bügel schließlich in ihren Ellenbeugen, steht da als unsicher lächelnder Kleiderständer, trotz des Triumphes den Tränen nahe. „Every manufactured good recre-ates the body, and the body is but a kind of manufactured good“ – mit diesem Motto überschrieb Meg Stuart ihre Arbeit, programmatisch der Name des Ensembles Damaged Goods, beschädigte Güter und Waren aller Art.
Zerstört auch die Beziehungen zwischen den Menschen auf der Bühne, die unter ihrer Richtungslosigkeit leiden, die ihre Isolation oft vergeblich und nur selten andeutungsweise erfolgreich zu durchbrechen versuchen. Am Ende ist ein Kratzen zu hören, ein letzter Versuch, doch die Türen bleiben verschlossen. Die alptraumatische emotionale Bestandsaufnahme entfaltete sich jenseits des konventionellen Tanztheatervokabulars und polarisierte das Publikum zwischen den Gleichgültigen und den Begeisterten: „Feel it, or leave it“.
Julia Kossmann
Bis Freitag, Halle 1, 21.30 Uhr
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