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Comeback als Synthie-Onkel

Klaus Schulze, engelsgleicher Synthesizer-Pionier der alten „Teutonic“-Garde, ist zum Paten der TranceDance-Szene avanciert – und das, fast ohne es selbst zu bemerken. In Schulzes Synthie-Museum umgesehen hat sich  ■ Johannes Waechter

Früher sah Klaus Schulze wie ein Engel aus. Lange Haare, weiße Gewänder und das richtige Gegenlicht beim Fotografieren machten aus dem Berliner Musiker einen himmlischen Boten, der hier unten die Kunde der elektronischen Musik verbreitete. Tritt er heute durch die Tür, so kommt ein Onkel herein, wie ihn kleine Kinder nach mütterlicher Anweisung meiden sollen: eine etwas undurchsichtige Type in Sakko und Turnschuhen, kettenrauchend.

Schulze, der vor kurzem übrigens 47 Jahre alt wurde, sieht heute so aus, wie er früher wirkte: Er war der Kinderschreck diverser Rockgenerationen. Mit seiner Musik konnte man jeden Pop- und Rockfan vergraulen, hatte sie doch nichts von dem, worauf alle standen: Beat, Gitarren; nicht mal Gesang war dabei, nur verschwurbelte Synthesizer-Klänge.

Der eigentliche Sinn dieser Musik schien darin zu bestehen, daß jeder sie aufs prächtigste schmähen konnte: Dem Rockfan war die Elektronik zu sehr ereignislose Meditationsträumerei, der Klassikverehrer sah sie als bloße Light- Version seiner Vorliebe, der Jazzer schließlich hielt sie für Kunsthandwerk, das sich entlang maschineller Möglichkeiten statt menschlicher Ideen entwickelte. Die Front der Ablehnung war so breit, daß die Elektroniker gar nicht anders konnten, als sich in eine Nische zurückzuziehen. Um so größer die Überraschung, als plötzlich von völlig unerwarteter Seite Anerkennung kam: aus dem Dance-Bereich.

Klaus Schulze wurde von diesem Stimmungsumschwung kalt erwischt. Er erhielt Anrufe mit geheimnisvollen Andeutungen – „weeßte wat Klaus, du mußt mal in die Clubs gehen, du bist bei den Kollegen total der Angesagte“ –, derweil ihm seine Kinder von einer „ganz neuen“ Musikrichtung namens Trance erzählten.

Zur Gewißheit verdichtete sich der Verdacht seiner neuen Stellung als Dance-Pate schließlich bei einem Promobesuch in Paris. Für seine aktuelle Musik interessierten sich die Medienpartner nur im Nachsatz, als erstes wollten alle wissen, wie er sich denn als Vater von Trance-Dance fühlen würde: „Ich wußte erst gar nicht, was ich sagen sollte, da war ich gar nicht drauf vorbereitet“, gibt er zu.

So wenig Klaus Schulze damit gerechnet hatte, je wieder „total der Angesagte“ zu sein, so genau verstand er doch, daß ihm hier völlig unverhofft ein Comeback in den Schoß gefallen war. Amüsiert von der Kuriosität der Zeitläufte und geschmeichelt von der Renaissance seines analogen Katalogs sprang er also auf den Zug auf und machte es sich im Salonwagen für Ehrengäste bequem.

Sein Comeback ist ein Wiedereintritt ins öffentliche Bewußtsein, jedoch keine musikalische Wiederbelebung. Als einziger der alten „Teutonic Synth“-Garde hat Schulze auch in den Achtzigern eine Platte nach der anderen produziert, außerdem seine ganzen alten LPs auf CD wiederveröffentlicht. Möglich macht ihm dies ein über die ganze Welt verstreuter Kreis von Elektronik-Liebhabern. Dieser harte Fankern machte es möglich, daß ihm im letzten Herbst sogar ein so halsbrecherisches Projekt wie die „Silver Edition“ gelang: ein Paket von zehn CDs, das unveröffentlichte Aufnahmen überwiegend aus den letzten Jahren enthält und von Schulze privat auf Subskriptionsbasis veröffentlicht wurde. Zwölfeinhalb Stunden Schulze pur – die Fans rissen sich darum.

Ein komfortables Randdasein also, gleichwohl kein gänzlich unproblematisches. Schulze stimmt zu, wenn man die Elektronische Musik altmodisch nennt: „Ja, altmodisch, da ist schon was dran, und das freut mich sehr, daß das jetzt endlich mal aus der verstaubten Kiste rauskommt. Die Trance- Dance-Sache gibt der ganzen Elektronik irgendwie so einen frischen Wind.“

Außerdem gehen mit dieser frischen Brise auch gesteigerte Marktchancen einher. „Der Bereich Elektronik lief immer, aber doch mehr verdeckt“, meint Schulze. „Jetzt läuft das richtig kommerziell ab.“ Synthesizer und Computer sind in den letzten Jahren zu den beliebtesten und im Profibereich am häufigsten eingesetzten Musikinstrumenten geworden – weil sie so unglaublich einfach zu bedienen sind.

Diese Benutzerfreundlichkeit hat jedoch ihren Preis: Wo es darum geht, in der Vielzahl der von der Technik angebotenen Möglichkeiten mit der Zielstrebigkeit des Ingenieurs zu Ergebnissen zu kommen, ist für interpretatorische Konzepte wie das der Virtuosität oder gar Genialität kein Platz mehr. Der Computermusiker stolpert durch die psychologischen Untiefen dieser egalen Ästhetik und sucht Halt im Rückgriff auf eine Zeit, als die Synthesizer noch anders – auf nebulöse Art „besser“ – waren.

Hier kommt Schulze ins Spiel, der ausschließlich für das begehrt wird, was er früher machte. „Die brauchen die alten Analogsequenzen“, sagt er, „die ganzen alten Siebziger-Jahre-Sachen.“ Der analoge Klang wird dabei so weitgehend mystifiziert, daß ihm sein musikalisches Element entgleitet. Onkel Klaus verständigt sich mit seinen zahlreichen Neffen nicht auf einer klanglichen Ebene, sondern über gemeinsame Individualgeschichten der Begeisterung für endlose Studiotüfteleien und instrumentale Hardware.

Schulze blüht förmlich auf, wenn man ihn fragt, ob er seine alten Geräte noch alle hat. „Jo jo jo“, ruft er aus, „ich habe ein richtiges Museum zu Hause. Das Mellotron habe ich noch, das riesige Moog- System, den Mini-Moog, den Fairlight, Korg MS E10, MS 20.“ Bei solchen Namen erwacht in jüngeren Kollegen wie Sven Väth natürlich der blanke Neid. „Doch dann setzen die sich da ran und merken, das geht gar nicht. Die können die Dinger gar nicht bedienen. Ich sage dann, das mußte hier regeln, und da mußte schieben, und da mußte stöpseln... dann heißt es, mach du det mal...“ – „Onkel Klaus“, fügt man im Geiste an.

Schulze genießt die neue Rolle und ist allemal klug genug, den ihm entgegengebrachten Respekt zurückzugeben. „Manchmal finde ich das, was die mit meinen Sachen machen, geiler als das, was eigentlich der Ursprung war“, gibt er zu. „,Picture Music‘ von The Orb, was die damit machen! Da würde ich mir meine ,Picture Music‘ nicht mehr kaufen, sondern gleich The Orb kaufen.“

Schulzes Wahl zum Szene-Patron ist dabei keineswegs ein uneigennütziger Vorgang, verleiht seine Anerkennung dem Treiben der Epigonen doch jene historische Legitimation, nach der sich im fünften Technojahr urplötzlich alle sehnen.

War Techno am Anfang der als Herausforderung inszenierte Bruch mit der Musikgeschichte, die „Zukunftsmusik ohne Vergangenheit“, so wollen die Technomacher nun auch nichts anderes, als anerkannt zu werden: zum Beispiel

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indem sie sich offensiv als neue Jugendkultur mit eingrenzbaren Essentials promoten – oder eben durch Einordnung in bestehende musikalische Traditionen.

Einen Mißton in diesem harmonischen Gleichklang stellt leider Schulzes eigene Dance-Produktion dar: Seine Wahnfried-CD „Trancelation“ ist schlichtweg scheiße. Im Klappentext freimütig als „Gebrauchsmusik von heute“ apostrophiert, erweist sie sich tatsächlich als Fließbandproduktion mit ätzenden Grooves, viel zu vielen Samples und einem erstaunlich billigen Sound.

Für dies Fiasko sind sicher auch Schulzes Partner verantwortlich zu machen – er besorgte den „Trance“, sie den „Dance“ –, doch gleichzeitig kann man sich der Einschätzung nicht erwehren, daß er solche Musik im Prinzip völlig uninteressant findet.

Vor diesem Hintergrund ist Schulzes Comeback als König des Tanzbodens ein amüsantes Interim, mehr jedoch nicht. Die musikalische Kluft zwischen Onkel Klaus und seinen Neffen ist wesentlich breiter, und der angeblich durch die Elektronikszene fegende frische Wind wesentlich lauer, als alle Beteiligten wahrhaben wollen. Wie die in nur gering verfremdeten Geigen- und Pianosounds schwelgende Silver Edition deutlich macht, will Klaus Schulze heute Opern und Symphonien komponieren, will sich mithin als Ein- Mann-Orchester durch die Hintertür aufs Gebiet der klassischen E- Musik stehlen.

Eine jener Kapriolen, die die Popmusik schlägt, seit ihr die ideologischen Gewißheiten der Rock- 'n'-Roll-Herrschaft abhanden gekommen sind, ist ihm dabei dazwischen gekommen. Doch bald wird's wieder zurück zu ausladenden Kompositionen mit Titeln wie „Narren des Schicksals“ und „Der Schönheit Spur“ gehen. Zurück in die kurz durchgelüftete Nische.

Wahnfried feat. Klaus Schulze: „Trancelation“. Zyx.

Klaus Schulze: „Silver Edition“. Musique Intemporelle Special, 10 CDs.

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