■ Standbild: Ein globales Kaleidoskop
„Der Sportspiegel – Das Finale", Mi., 22.15 Uhr, ZDF
Roberto Baggio legt sich den Ball zum entscheidenden Elfmeter zurecht, schluckt einige Male trocken, und zwei Milliarden Menschen in aller Welt schauen ihm in die zu Schlitzen verengten Augen. Wer sind diese Leute, fragte sich Nachwuchsregisseur Andreas Rogenhagen und beauftragte Filmemacher in 42 Ländern, den Fernsehzuschauern des Endspiels der Fußball-WM ihrerseits mit der Kamera auf die Pelle zu rücken. Herausgekommen ist ein globales Kaleidoskop inbrünstig auf die Mattscheibe starrender Personen vielfältiger Couleur. Ohne jeden Kommentar, lediglich unterlegt mit Musik, zappt die Kamera von Rio nach Turin, von Minsk nach Buenos Aires, von Kamerun nach Finnland, wo ein einsames Rentier Desinteresse am fußballerischen Geschehen heuchelt, während sich eine kaurismäkieske Familie an Fanta/ Wodka und Romario delektiert.
Als im Stadion von Pasadena Whitney Houston und Pelé zu den Präliminarien des Finales schreiten, gellen hektische „Fratres, Fratres“-Schreie durch ein Dominikanerkloster in Prag, wo Mönche ein TV-Gerät installieren und ungeduldig an der Antenne hantieren. In Herne wird ein Faß Bier aus dem Kanal gezogen, in Christchurch gibt ein Autofahrer seiner Frau hektische Anweisungen zur Bedienung eines Mini-Fernsehers, in Trinidad scheppern die Steel Drums, in Bolivien kursieren die Cocablätter – und auf geht's.
Ein 45minütiger Videoclip, atemlos und verwirrend, denn nach einiger Zeit weiß man schon nicht mehr, wo man eigentlich ist. Spielszenen des Finales wechseln in rascher Folge mit fiebernden, freudigen, verzweifelten Gesichtern, doch das flüchtige Streifen der einzelnen Publika läßt kaum Wiedererkennen zu. Die gezeigten Menschen bleiben anonym und austauschbar in ihrer Gebanntheit. Langsam schleicht sich eine gewisse Monotonie ein, die sich erst wieder legt, als das Elfmeterschießen beginnt. Die Dokumentation wird plötzlich zum Spielfilm, und der tragische Held ist natürlich Roberto Baggio, dessen Fehlschuß zwei Milliarden in Euphorie versetzt, sieht man einmal von den armen Seelen in Turin und dem jamaikanischen Tifoso ab, der die Aktionen seiner geliebten Azzurri mit einem inbrünstigen „O Allah, o Allah“ begleitete. Matti Lieske
Eine längere Fassung dieser Dokumentation läuft am 4.9. auf arte: „The Final Kick“, 22.05 Uhr
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