: Nestlé
■ Fanny Müller - Die 18. Geschichte von Frau K.
rau K., die ja noch mit Ausdrücken wie prima für erfreuliche und Ach du liebe Güte für weniger erfreuliche Begebenheiten aufgewachsen ist, hat durch die vielfältigen Kontakte mit den jungen Leuten im Hause einiges von der heutigen Sprachkultur aufgeschnappt.
Als neulich mein Gasboiler im Bad mal wieder den Dienst aufsagte, rief sie die verantwortliche Firma an – das gehört zu ihren Aufgaben als Concierge – und ich händigte ihr meinen Wohnungsschlüssel aus, weil ich ins Büro mußte. Wieder zurück, stellte ich fest, daß a) der Boiler immer noch nicht funktionierte und b) der Teppichboden im Flur und das Badezimmer mit fettigen Rußflocken nur so übersät war.
Ich runter zu Frau K.
In meiner Gegenwart rief sie bei der Firma an, machte einen neuen Termin aus und beendete das Gespräch mit den Worten: „...und passen Sie ma auf, daß die Auslechware nich wieder so schweinigelich aussieht, sonst flippt Frau Müller aus!“
Kurze Zeit später wurde auf der Stresemannstraße ein kleines Mädchen überfahren. Die Nachbarschaft strömte zusammen und besetzte die Straße. Ich klingelte bei Frau K.. Aber sie war bereits ausgehfertig angezogen und ich mußte ihr nur noch helfen, Trixi in den fahrbaren Einkaufsbeutel zu verfrachten, was diese mit rasendem Gebell quittierte. (Mit der Ausrede, noch mal zu müssen, wusch ich mir hinterher rasch die Hände). Auf der Strese angekommen, stellte ich den mitgebrachten Klappstuhl für Frau K. neben ihrer Kusine Emmi und Frau Petersen vom Fischladen auf, mit denen sie offensichtlich schon verabredet gewesen war. Ich blicke mich um.
Alles wie gehabt.
Die Männer stehen in der Mitte und erörtern die wichtigen Fragen. Leider meist per Megaphon. Die Frauen sitzen auf Kissen und Decken am Rande und haben die weniger wichtigen Dinge organisiert, wie beispielsweise Kaffee mitzubringen und den anfangs ziellos herumtobenden Nachwuchs mit Rollschuhen, Skateboards, Malkreide, Bällen, Comics, Eis und Keksen zu versorgen. Frau K. stupst mich mit dem Stock an: „Kucken Sie doch ma, was die Kerle da zu dröhn' ham.“ Eben will ich in den Pulk der Männer eintreten, als ein mit Jeans und und schmuddeligem T-Shirt bekleideter Endzwanziger, hager und mit glühendem Blick, Typ Missionar, mich ins Visier nimmt und anklagend auf die Flasche Mineralwasser weist, die ich in der Hand halte: „Wissen Sie eigentlich, daß diese Flasche zum Nestlé-Konzern gehört?“ Ein Kreis beginnt sich um uns zu bilden. Ich sehe an mir runter. Ach so. Ich habe noch den schwarzen Rock an und das graue Jackett mit Brosche am Revers. Er hält mich für eine Mutti aus dem Volk, die der Aufklärung bedarf. Meinetwegen. Ich werde es zunächst mit der höflichen Nummer versuchen: „Und weißt du was? Morgen kauf ich mir 'ne andere Flasche und dann kommt der nächste Blödmann und erzählt mir, daß die von Dow Chemical ist. Verpiß dich!“ Aufheulen seinerseits. „Du mordest kleine Kinder in der Dritten Welt“, kreischt er, „du tötest kleine Babies, es ist dir ganz egal, daß...“ Nun reicht es aber! Da kann ein Typ noch so matt in der Birne sein, noch so besoffen oder auf Droge – mit Sicherheit sucht er sich die Person aus, die ihm am wenigsten gefährlich werden kann. Da hat er sich aber geschnitten! Ich packe das corpus delicti fest am Hals, erhebe den Arm und teile ihm mit, daß, wenn er nicht sofort seine Fresse hält, er dieselbige poliert bekäme. Ihm quellen schier die Augen aus dem Kopfe, aber ehe er sich mit ebenfalls erhobener Faust auf mich stürzen kann, erscheint über meiner Schulter ein Krückstock, bohrt sich in seine Hühnerbrust und weithin ertönt die Stimme von Frau K.: „Hau ab, du Wichser!“
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