: Jacques Vergès – der Ankläger der Nation
■ Er verteidigte Bombenleger, gemeine Delinquenten und afrikanische Staatschefs / Wo immer der Staranwalt auftritt, wird er selbst zum Thema
Angriff ist die beste Verteidigung. Dieser Devise ist Jacques Vergès in seiner Karriere noch stets gefolgt. Wann immer der heute 69jährige französische Staranwalt Bombenleger, gemeine Delinquenten, korrupte afrikanische Staatschefs oder Massenmörder verteidigte, zerrte er die vermeintlich Unschuldigen auf die Anklagebank. Meist war es der Staat Frankreich, den Vergès angriff: wegen Menschenrechtsverletzungen in den überseeischen Gebieten, wegen des Kolonialismus insgesamt oder wegen der Kollaboration mit den deutschen Nazis. Und meist wurde daraus ein Spektakel, das die französische Öffentlicheit wochenlang in Bann hielt.
Dramatische Ausmaße nahm Vergès' Verteidigungstechnik 1987 an, als Klaus Barbie, der deutsche Gestapo-Chef von Lyon, sein Mandant war. Da versuchte Vergès – im Angesicht der wenigen überlebenden Opfer des „Schlächters von Lyon“, die als ZeugInnen vor Gericht aussagen konnten –, die These „Faschismus gleich Kolonialismus“ zu belegen. Er zählte die Opfer französischer Folter und versuchte, sie gegen diejenigen des Holocaust aufzurechnen. Sein Fazit: „Die Deutschen haben in Frankreich weniger Verbrechen begangen als die französische Regierung in Algerien.“ Barbie, der seinem eigenen Prozeß wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ohnehin nur wenige Stunden beiwohnte, trat angesichts der Haßtiraden seines Verteidigers völlig in den Hintergrund.
Dieses Mal geht es um den Top- Terroristen Carlos, der sich erst seit vergangener Woche in den Händen der französischen Justiz befindet. Und der „Maitre“ eröffnete die Schlacht mit der Information, er selbst sei Anfang der 80er Jahre Ziel eines vom französischen Geheimdienst und Präsidenten geplanten Mordanschlages gewesen. Bestätigt wird das von Paul Barril, ehemalige Nummer 2 der Elitepolizei GIGN und angeblich mit dem Mordauftrag betraut. Barril hat sich längst selbständig gemacht. Heute berät sein Unternehmen SECRETS afrikanische Potentaten. Aus dem französischen Staatsdienst war der Superflic nach der Affaire mit den Iren von Vincennes ausgeschieden. Bei den drei 1982 in Paris verhafteten Iren waren Waffen gefunden worden. Barril soll sie deponiert haben, um der Regierung einen Antiterror-Erfolg zu verschaffen.
Barrils Verteidiger in der Iren- Sache war kein anderer als „Maitre“ Vergès. Der Superflic will dem Staranwalt schon in den 80er Jahren von dem Mordkomplott berichtet haben. Doch in seiner 1990 erschienenen Biographie „Der strahlende Dreckskerl“ erwähnt Vergès das nicht.
Ähnlich mysteriös sind die Gerüchte über Vergès' „Vermittlertätigkeit“ zwischen der sozialistischen Regierung und der Carlos- Gruppe Anfang der 80er Jahre. Der Staranwalt, der damals Carlos' Lebensgefährtin Magdalena Kopp verteidigte, will von der französischen Regierung zu Gesprächen gebeten worden sein. Nach seiner Version habe dort das Interesse bestanden, das Verfahren gegen Kopp aus Angst vor Anschlägen abzukürzen. Einstige Kabinettsmitglieder hingegen wollen sich erinnern, daß Vergès selbst vorstellig geworden sei, um der Regierung zu raten, sie möge Carlos' „Drohungen ernst nehmen“.
Vergès' Stasi-Akte schließlich, aus der täglich neue Details an die Öffentlichkeit sickern, weist den Staranwalt als Mitglied der Carlos- Gruppe aus. Jahrelang soll er regelmäßige Kontakte nach Ost- Berlin gehabt haben. 1982 soll er die Raketen für einen Anschlag auf ein französisches AKW versteckt haben.
Vergès legt sein berühmtes sibyllinisches Lächeln auf, wenn er mit derartigen Enthüllungen konfrontiert wird. Die Stasi habe nicht immer frei erfunden, sagt er. „Sie hat nur völlig falsch interpretiert.“
Stoff für Mythen bietet Vergès' Leben allemal. Der auf der von ihm als „französische Kolonie“ bezeichneten Insel La Réunion aufgewachsene Eurasier schloß sich bereits mit 17 der französischen Résistance an. Später engagierte er sich (bis 1957) in der Kommunistischen Partei, schloß sich nach der Unabhängigkeit der ersten algerischen Regierung der FLN an und entwickelte enge Kontakte zu beinahe allen afrikanischen und zahlreichen asiatischen Unabhängigkeitskämpfern. In den 70er Jahren verschwand er für acht Jahre von der Bildfläche und wurde in jenen Jahren überall dort vermutet, wo revolutionäre Brennpunkte waren – von Havanna über Phnom Penh bis Aden. Er selbst hütet das Geheimnis jener Jahre bis heute.
Vergès' gegenwärtig prominentester Mandant kann sich in seiner Zelle im Pariser Gefängnis La Santé erst einmal zurücklehnen. Über seine Attentate – zum Beispiel das von 1982 auf den Zug von Paris nach Toulouse oder das von 1983 auf den Bahnhof von Marseille – spricht heute niemand. Sein Anwalt hat ihn in den Hintergrund gedrängt, und sein Richter, der Terrorexperte Bruguière, ist nach einem ersten Verhör wieder in den Urlaub zurückgekehrt.
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