piwik no script img

Hoffnung für Altenwerder

■ Sensationelles Gutachten der Wirtschaftsbehörde belegt: Hafenerweiterung geht doch ohne Altenwerder Von Florian Marten

Hamburgs Containerumschlag kann sich bis zum Jahr 2010 verdoppeln, ohne daß auch nur ein Grashalm auf den Marschenwiesen von Altenwerder gekrümmt wird. Im westlichsten Hafenteil, direkt neben Finkenwerder, könnten vom Bubendeyufer bis zum Dradenau-hafen hochmoderne Containerterminals, Umschlagsflächen und Logistikanlagen entstehen, die dem Hamburger Hafen Wachstumspotentiale für den Containerumschlag eröffnen, die noch weit über das bisher favorisierte Konzept einer Hafenerweiterung in Altenwerder hinausgehen.

Eine Alternative zu Altenwerder ist doch machbar

Dies geht aus einem kürzlich fertiggestellten Gutachten „Alternativprüfung Petroleumhafen/Dradenauhafen“ des Amtes für Strom- und Hafenbau der Wirtschaftsbehörde hervor, das der taz hamburg vorliegt. Hatte die Wirtschaftsbehörde bislang behauptet, eine Altenwerder-Alternative im bestehenden Hafengebiet sei nicht realisierbar, so belegt die hauseigene Expertise jetzt das Gegenteil: Im Gebiet zwischen Elbe, Köhlfleet, Dradenau und Waltershof ließe sich, so die Gutachter, die Hafenzukunft Hamburgs sichern – im gewünschten Zeitraum und mit einer noch höheren Kapazität (880.000 Containereinheiten pro Jahr statt 800.000).

Ursache dieses überraschenden Eingeständnisses ist die taktische Marschroute, die Heinz Giszas, Leiter des Amtes für Strom- und Hafenbau, sich und seinen Mitarbeitern verordnet hat. Hatte Giszas lange darauf verzichtet, überhaupt nach einer Alternative zu Altenwerder zu fahnden, so scheuchte ihn eine taz-Veröffentlichung im November 1993, mitten in den rot-grünen Koalitionsverhandlungen, heftig aus der Ruhe. Ein führender Mitarbeiter des städtischen Hafengroßbetriebs HHLA hatte detailliert begründet, wie eine Umschlagsverdopplung von 2,5 Millionen Containereinheiten (TEU) auf bis zu 5 Millionen TEU auch im Hafengebiet zu schaffen sei.

Die HHLA und Hafenchef Giszas dementierten diese Thesen auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz. Intern aber wies Giszas seine Mannen an, unverzüglich die damals ins Gespräch gebrachten Flächen zu untersuchen. Das jetzt vorliegende Ergebnis in der Wertung durch die Behörde: Dradenau ist zwar machbar, Altenwerder aber immer noch billiger und besser. Mit diesem Eingeständnis könnte der vorsichtige Giszas jedoch über das Ziel hinausgeschossen sein.

Die Behörde hat damit, so ein Insider, „ein Faß aufgemacht“ – sprich ausgezeichnete Voraussetzungen für eine völlig neue Hafendiskussion geschaffen. So räumen die Gutachter in ihrem Fazit ein: „Die Alternativplanung Dradenauhafen beinhaltet keinen Eingriff in Privateigentum und gegenüber Altenwerder nur einen geringfügigen Eingriff in Natur und Landschaft. Diese Alternative kann im erforderlichen Zeitrahmen erstellt werden.“

Im Detail heißt das:

– Die Kapazität ist höher als die Altenwerders (und diese wird laut Wirtschaftsbehörde auch gebraucht),

– Die Realisierung kann schrittweise erfolgen (falls der Containerzuwachs kleiner ausfällt),

– Ein Gutteil der Flächen ist schnell verfügbar,

– Bahnanschlüsse sind im Gelände bereits vorhanden,

– Die ökologischen Probleme sind geringer als in Altenwerder,

– Mit den benachbarten Hamburger Stahlwerken und den Hamburger Aluminiumwerken stehen weitere Reserveflächen zur Verfügung, die aller Voraussicht nach im Zeitraum 2002-2010 (geplante Realisierungsphase Altenwerder) längst frei sind.

Die Gutachter der Wirtschaftsbehörde tun sich denn auch schwer, die Alternative Dradenau dennoch abzulehnen. Mit zwei Argumentationssträngen versuchen die Hafenplaner, ihr Projekt zu retten: Zum einen könne man die Dradenau auch noch anderweitig verwenden, zum anderen sei Altenwerder deutlich billiger. Mehrkosten der Dradenaulösung, so die Behörde, entstünden durch die erforderliche Verlagerung dreier Betriebe, der Dupeg (Chemikalien), der Defrol (Mineralölprodukte) und der Bominflot (Tanklager für Schiffsdieselöl). Pikant: Mit der Bominflot wurde 1990, als die aktuellen Planungen bereits auf Hochtouren liefen, noch eben schnell ein 30-Jahre-Mietvertrag abgeschlossen.

Ob Altenwerder wirklich teurer würde, so meinen kritische Experten, könnte allerdings erst eine Detailplanung inklusive Verhandlungen über Entschädigungszahlungen bringen. Unseriös am Kostenvergleich sei zum einen, daß die bereits aufgewendeten Enteignungskosten für Altenwerder (bisher ca. 250 Millionen Mark) in der Rechnung nicht auftauchen. Und außerdem: Teurer ist die Dradenau-Lösung lediglich pro Hektar – kommt man, wie durch den günstigeren Geländeschnitt wahrscheinlich, mit weniger Fläche aus, kann Dradenau die Stadtkasse sogar entlasten.

Die Alternativlösung Drade-nau ist billiger als zugegeben

Noch bemühter wird der Argumentationsfluß der Behörde, wenn es um andere und bessere Zwecke für Dradenau & Co geht: Da bleibt zunächst völlig außer acht, wieviel bessere Möglichkeiten es auch für Altenwerder gebe. Wohnungsbau und Gewerbe sind allemal rentabler als Dumpingpachten für Leercontainerflächen. Schließlich werden die Reserveflächen der Stahl- und Aluwerke überhaupt nicht erwähnt. Was bleibt, sind Hinweise auf die Zukunft der Binnenschiffahrt und der schier unersättliche Hunger des Hafens nach weiteren Lagerflächen.

Neue Umschlagstechniken, welche die Aufenthaltsdauer der Container im Hafen verkürzen, intelligentere Stapelungssysteme und eine der tatsächlichen Containerentwicklung angepaßte stufenweise Realisierung – alles in den bisherigen Gutachten nicht berücksichtigt – würden, so meinen Wissenschaftler der TU Harburg, die Dradenau-Lösung erheblich günstiger machen.

Doch Giszas und seine Jungs sind entschlossen, „ihr“ Altenwerder zu verteidigen. Giszas' Chefplaner Hensen: „Unsere Denke bleibt unverändert.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen