: Ärger bei Nicaraguas Sandinisten
Weil ein reformistischer Flügel sich einer Weisung der Parteiführung widersetzt, stehen die einstigen Revolutionäre vor der Spaltung / Der Streit geht auch um alte Pfründe ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Bei den Sandinisten (FSLN) kracht es wieder einmal gewaltig. Altmeister Tomas Borge, der einzige der heutigen Führungsmannschaft, der schon vor 33 Jahren bei der Gründung der Befreiungsfront dabei war, hält eine offene Spaltung der Partei für möglich, denn deren reformistischer Flügel, angeführt vom Schriftsteller Sergio Ramirez, hat eine Weisung der von Daniel Ortega kontrollierten obersten Parteiorgane mißachtet.
„Das Interesse der Nation steht über dem Interesse der Partei“, erklärte Ramirez Anfang der Woche die Entscheidung der sandinistischen Parlamentsfraktion, ein Paket von 102 Verfassungsreformen zur Diskussion in die Nationalversammlung zu bringen, obwohl die Sandinistische Versammlung tags zuvor überraschend beschlossen hatte, noch zuzuwarten.
Bei diesen Reformen geht es um eine Reihe längst fälliger Anpassungen der 1987 erstellten Verfassung, welche für die dauerhafte Institutionalisierung der Revolution gedacht war. Die Vollmachten des Staatschefs sollen beschnitten und die der Legislative ausgebaut werden. Zudem halten es die Gesetzgeber für notwendig, ein Verbot der Privatisierung des Gesundheits- und Erziehungswesens in der Verfassung zu verankern. Die Autonomie der Gemeinden und der Atlantikküste sollen Verfassungsrang bekommen, die Rechtsprechung gestärkt und Wahlen transparenter gemacht werden.
Über die meisten dieser Punkte herrscht längst Einigkeit zwischen den Sandinisten und den Parteien der ehemaligen Oppositionsallianz U.N.O., die inzwischen in fünf Gruppen zerfallen ist. Einziger Stein des Anstoßes ist ein Artikel, der die Voraussetzungen für eine Präsidentschaftskandidatur regelt. Nach dem jetzt zur Debatte stehenden Verfassungsentwurf dürfen sich nahe Verwandte und Angehörige eines Staatschefs ebensowenig bewerben wie der Präsident selbst. In Nicaragua, wo sich Mitglieder und Strohmänner der Familie Somoza viereinhalb Jahrzehnte lang an der Macht ablösten, ist die Klausel verständlich. Schließlich haben auch die Sandinisten gegen den „continuismo“ gekämpft. Von den bisher 17 Kandidatinnen und Kandidaten, die sich 1996 um das höchste Amt bewerben wollen, wäre nur ein einziger ausgeschlossen, nämlich Violeta Chamorros Schwiegersohn Antonio Lacayo, der als Präsidialminister für die politisch unbedarfte Chefin die Geschäfte führt.
Verfassungsreformen müssen in Nicaragua in zwei aufeinanderfolgenden Sitzungsperioden beschlossen werden. Durch geschicktes Taktieren läßt sich also verhindern, daß sie noch vor den Wahlen 1996 in Kraft treten. Offizielles Argument für die Verschiebung der Debatte war der fehlende Konsens. Denn ohne die Stimmen der Lacayo-Gruppe wäre man auf die Zustimmung der Rest-U.N.O. angewiesen, die die Reformen verwässern oder eigene Interessen durchsetzen könnte. Die Abgeordnete Dora Maria Tellez, einst Comandante Guerrillera und später Gesundheitsministerin, sprach aber offen aus, was sonst nur hinter vorgehaltener Hand gesagt wird: ein Teil der FSLN sei bemüht, die Interessen Lacayos zu wahren.
Tomas Borge ist an einem Sägewerk beteiligt; Lumberto Campbell, seit neuestem Mitglied des fünfzehnköpfigen Nationaldirektoriums, zählt zu den größten Holzhändlern der Atlantikküste. Und andere sind der Meinung, durch einen Kuhhandel mit Lacayo könne man die leidige Eigentumsfrage ein für allemal regeln und die teilweise zwielichtigen Übertragungen von Villen und Latifundien absichern. Nicht zuletzt wird Lacayo, ein Mann der Mitte, der zwar Macht, aber keine eigene Partei hat, auch als attraktiver Koalitionspartner gehandelt.
Während radikale Gruppen innerhalb der Partei bereits nach Sanktionen für die undisziplinierte Parlamentsfraktion rufen oder fordern, daß zumindest Sergio Ramirez, der eigentlich nur stellvertretender Abgeordneter ist, seinen Parlamentssitz an Daniel Ortega abgibt, geben sich die „Rebellen“ gefaßt. Sie wissen, daß in dieser Frage die Mehrheit der Nation hinter ihnen steht. Zudem dürfte es ihnen gar nicht ungelegen kommen, wenn sie mit großem Getöse aus der Partei ausgeschlossen würden. Auf dem außerordentlichen Parteitag im vergangenen Mai konnten sie sich mit ihren Forderungen nach Demokratisierung der Partei und Öffnung zum politischen Zentrum nicht durchsetzen. Ein freiwilliger Austritt hätte sie zur bedeutungslosen Splittergruppe gemacht. Aber als Märtyrer für eine gerechte Sache hätten sie nach einem Rausschmiß genügend Autorität, um einen bedeutenden Teil der FSLN hinter sich zu scharen.
Nach dem Parteitag, der die Probleme nicht gelöst hat, stehen für die FSLN die Zeichen für eine Rückkehr an die Macht schlecht. Eine offene Spaltung würde wohl den Weg für Arnoldo Aleman ebnen, den rechtsextremen Bürgermeister von Managua, der seit Jahren seine Kandidatur vorbereitet.
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