: Berliner Schmäh
Eine illustre Buffotruppe gibt in Berlin das „Weiße Rößl“ ■ Von Klaudia Brunst
Einen Spaß wollten sie sich machen, die Herren Pfister und Wameling, Sander und Raabe. Einen kleinen feinen Spaß – vor allem ihren eigenen. Und – wer will ihnen das verdenken? – ein Stückchen Theatergeschichte schreiben, das wollten sie wohl auch.
Als man sich seine Ziele setzte, saßen die Herren in der Berliner Bar jeder Vernunft. Auch das ein kleiner feiner Spaß, hier nun der Herren Deichinger und Klotzbach, die vor zwei Jahren ein altehrwürdiges Spiegelzelt auf den Parkplatz der noch ehrwürdigeren Freien Volksbühne setzten, kurz darauf sogar deren Schließung überlebten und ihrem neuen Nachbarn, dem großen Spaßmacher Friedrich Kurz, nun allabendlich recht erfolgreich vormachen, wie schön die Kleine Kunst sein kann. Wenn sie nicht Musical heißt.
Gewissermaßen also sollte hier auch eine David-gegen-Goliath- Geschichte zur Aufführung kommen: Hie die armen Ritter des schauspielenden Gewerbes, da ein geistloses Musicalmanagement, hie „Das Weiße Rößl“, jene vom Kulturbetrieb so verachtete Erfolgsoperette, da „Shakespeare & Rock 'n' Roll“.
Allein es fehlte das Geld. Und so dachten sich die Herren in ihrem durchaus enthusiastischen Bemühen eine Aktiengesellschaft aus, deren Zweck ausschließlich die Finanzierung ihres Spaßes sein sollte. Und fanden tatsächlich über 300 Zahlungswillige. Und hatten darob ihren Spaß. Und wir, die wir nun unsererseits am vergangenen Sonntag in die Bar jeder Vernunft kamen, hatten ihn auch.
Schon die Besetzungsliste las sich wie das „Who's who?“ der Berliner Theaterszene: Otto Sander und Gerd Wameling, Monika Hansen und Meret Becker. Die Pfisters waren fast komplett aus der Schweiz angereist, und Max Raabe brachte sein Fahrrad mit. Fräulein Schneider lupfte ihre Oberweite, die der Piccolo Andreas Guglielmetti wohl gerne einmal aus der Nähe betrachtet hätte. Monika Hansen verteilte die dramaturgisch höchst wichtige Post, und Walter Schmiedinger schließlich gab uns den Operettenkaiser. Und dann legten sie los: drei Stunden Schmäh vom Feinsten, über Liebe und Triebe, Verwirrungen und Verwicklungen.
Die Vorlage von Hans Müller und Eric Charell wurde kaum verändert. Immer noch ist der Zahlkellner Leopold (Toni Pfister) unsterblich in die Rößl-Wirtin (Fräulein Schneider) verliebt, die wiederum ein Auge auf Stammgast Dr. Otto Siedler (Max Raabe) geworfen hat, der seinerseits gerne Ottilie (Lilo Pfister) ehelichen würde, welche das Fräulein Tochter von Trikotagenfabrikant Giesecke (Gerd Wameling) ist, der sich wiederum in einem erbitterten Rechtsstreit befindet mit dem schönen Sigismund (Ursli Pfister), der seinerseits dem armen Professor Hinzelmann (Otto Sander) heimlich die Logie zahlt, weil er unsterblich in dessen Tochter Klärchen (Meret Becker) verliebt ist. Operette eben.
Und so geht es zwangsläufig drunter und drüber im „Weißen Rößl am Wolfgangsee“, wo die ganze Welt schon mal so himmelblau ist, daß die Feriengäste in einen feschen Walzer verfallen. Die Streicher versetzen dann unter der Leitung von Johannes Roloff die Zeltplanen ins Schunkeln – und das Publikum auch.
Vor allem Johannes Roloffs genialen, weil behutsamen Arrangements der Rößl-Schlager (Original: Ralph Benatzky) ist es zu verdanken, daß das Singspiel tatsächlich zu einem großen Spaß auch für die Zuschauer wurde. Denn die Sangeskünste der vielen großen und kleinen Operettisten ist doch von höchst unterschiedlicher Qualität. Max Raabe schmettert seine Duettpartnerin Lilo Pfister noch im Schlaf an die Zeltwand, und Ursli kann sich beim Tutti mal wieder nicht zurückhalten. Und auch Otto Sander und Gerd Wameling können so wenig singen wie Walter Schmidinger.
Aber das alles macht alles rein gar nichts. Denn der Spaß, den sie sich hier machen, ist eben ein recht individueller. Niemand soll sagen, Regisseur Ursli habe einen seiner Solisten wahrhaft an die Leine gelegt: Die illlustre Truppe spielt vor allem sich selbst. Otto Sander macht aus seinen wenigen Auftritten kurzerhand großes Schaubühnen-Theater, Kollege Wameling dagegen nutzt die Gelegenheit zum lustvollen chargieren. Toni Pfister, daeinst eher ein schüchterner Sangesbruder, hat sein fulminantes Coming-out als Peter Alexander, Max Raabe gibt uns Max Raabe, und Walter Schmidinger gefällt sich in der Rolle des geistesabwesenden Deus ex machina.
Wohlwollend will man annehmen, daß auch manch dräuende Länge durchaus mitinszeniert ist. Nur garstige Zungen behaupten, der vorher veranstaltete Zirkus sei allemal beeindruckender gewesen, als die abgelieferte Unterhaltungsdividende. Es ist eben jene Art Schmäh, den es nur in Berlin geben kann, wo das Klappern traditionell noch zum Handwerk gehört.
Wehe dem, der versuchen würde, diese Buffotruppe aus ihrem Refugium herauszuschneiden und auf Tournee zu schicken. Nicht auszudenken, was aus dem Rößl würde, wenn man nach Ablauf der geplanten zwei Spaßmonate – wenn die Großen wieder zurück an ihre großen Theater müssen – auf die Idee verfiele, mit eiligen Umbesetzungen die Rendite doch noch zu steigern. Dieses lustige Berliner Pflänzchen – es soll durchaus gedeihen. Zwei launige Monate lang, vis-à-vis zum großen Spaßmacher Kurz. Dann aber ist endgültig Winter. Nicht nur am Wolfgangsee.
„Das weiße Rößl am Wolfangsee“, Singspiel in 3 Akten. Regie: Ursli Pfister, musikalische Leitung: Johannes Roloff.
Zwei Monate en suite in der „Bar jeder Vernunft“, Berlin.
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