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Ein letzter Psalm auf Sandinos Partei

Nicaraguas Dichterpriester Ernesto Cardenal bricht mit der Sandinistischen Befreiungsfront / Immer tiefer ist die Partei gespalten / Auch „Barricada“-Redaktion wurde geschaßt  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

„Seit dem Parteitag hat eine kleine, von Daniel Ortega angeführte Gruppe die FSLN gekidnappt und den Caudillismus sowie die vertikale, autoritäre Führung durchgesetzt.“ Ernesto Cardenal saß da, wie ihn die Welt kennt: mit Baskenmütze und weißem Hemd, vor einem der naiven Bilder, die die Inselgruppe Solentiname berühmt gemacht haben, und nuschelte in seinen weißen Bart: „Deswegen betrachte ich es als meine Pflicht, in aller Öffentlichkeit aus der FSLN auszutreten.“

Der Poet und langjährige Kulturminister Nicaraguas, der es verstanden hatte, Christen und Schöngeister auf aller Welt für die Revolution in einem tropischen Zwergstaat zu begeistern, brach am Montag endgültig mit der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN). Ernesto Cardenal ist die prominenteste Figur, die mit einem Austritt die Konsequenz aus der offenkundigen innerparteilichen Spaltung zieht. Überraschend aber kam sein Rücktritt für viele nicht. Schon vor dem außerordentlichen Parteitag der FSLN im Mai hatte Cardenal eine Erklärung der vom Romancier und ehemaligen Vizepräsidenten Sergio Ramirez angeführten „Erneuerungsströmung“ innerhalb der FSLN unterschrieben. Eine Öffnung der Partei zur politischen Mitte und eine Demokratisierung der noch immer vertikalistischen Strukturen wollte die Bewegung erreichen – und wurde auf dem Parteitag gänzlich niedergemacht. Die vom Ex-Präsidenten und FSLN-Generalsekretär Daniel Ortega angeführte Fraktion der „demokratischen Linken“ setzte sich in allen Gremien durch – und das nicht immer ganz sauber.

Ernesto Cardenal machte die bittere Erfahrung, daß alle seine Sympathisanten auf dem Archipel Solentiname im Nicaraguasee bei den parteiinternen Wahlen in der Provinz Rio San Juan durch Manipulation ausgeschaltet worden waren. Auch in der Stadt Masaya wurde dafür gesorgt, daß Kandidaten der „Erneuerer“ keine Stimmen bekamen: „Das erinnert uns an die Wahlen in den ehemaligen sozialistischen Staaten, wo es nie eine Gegenstimme gab.“

Tatsächlich scheint die Ortega- Fraktion wild entschlossen, alle Macht in der FSLN an sich zu reißen. Im ehemals offiziellen Parteiorgan Barricada kündigte sich am Wochenende eine Säuberung großen Stils an. Direktor Carlos Fernando Chamorro hatte nämlich seinen wenige Monate nach dem sandinistischen Wahldebakel erhaltenen Auftrag, das Blatt zu professionalisieren, zu ernst genommen. Weil er die Ramirez-Fraktion zu oft zu Wort kommen läßt, wirft ihm die Parteiführung vor, die Parteiinteressen zuwenig zu wahren. Chamorro wurde geschaßt, und aus Solidarität traten fast der gesamte Redaktionsrat und die prominentesten Redakteure gleich mit zurück. Sie prophezeien unter dem neuen Chef Lumberto Campbell, einem Gefolgsmann Ortegas, ein Fiasko für die Zeitung, die sich mühsam den Ruf der sachlichen Berichterstattung erkämpft hatte. An sektiererischen Postillen besteht kein Bedarf mehr, wie eine jüngst erhobene Studie belegt. Die meisten Leser goutieren eher das Horoskop als die Meinungsseite, und alle fordern größere politische Unabhängigkeit.

Seit dem Parteitag hat sich der lange schwelende Konflikt innerhalb der ehemaligen Revolutionspartei immer mehr zugespitzt. Die Kontrahenten: Daniel Ortega auf der einen, Sergio Ramirez und mit ihm die Mehrheit der sandinistischen Parlamentsfraktion auf der anderen Seite. Ein Paket von Verfassungsreformen führte zum Bruch: Die Fraktion schlug unter anderem vor, die Wiederwahl von Präsidenten und die Kandidatur naher Angehöriger des Staatschefs zu verbieten. Das würde sowohl den Präsidialamtsminister Antonio Lacayo – den Schwiegersohn der Präsidentin – für die nächsten Wahlen kaltstellen, als auch Daniel Ortega. Reaktion der FSLN- Führung: Fraktionschef Ramirez flog raus, Ortega kam in die Fraktion. Die allerdings wählte nicht ihn zum neuen Chef, sondern die „Erneuerungs“-Vertreterin Dora Maria Tellez.

Ortega gelobte zwar, sich „als einfacher Abgeordneter“ in die Nationalversammlung einzugliedern, aber schon in seinem ersten Auftritt versetzte er der Legislative einen Tiefschlag: Er forderte, die Verfassungsreformen zum Gegenstand eines großen nationalen Dialogs zwischen Parteien und Regierung zu machen – die Aushebelung des Parlamentes, um die eigene Fraktion auszuschalten.

Innerhalb der FSLN herrscht Krieg. Die Minderheitenfraktion nimmt an den Sitzungen des Nationaldirektoriums nicht mehr teil und boykottiert auch zunehmend die Debatten der 135köpfigen Sandinistischen Versammlung, wo alle Beschlüsse im Mehrheitsverfahren durchgesetzt werden. Selbst austreten wollen die „Erneuerer“ nicht – der Vorwurf der Spaltung wäre kaum politisch auszuhalten. Sie würden lieber mit Pauken und Trompeten rausgeworfen werden – dann könnten sie mit dem Märtyrerbonus einen wesentlichen Teil der Basis mitziehen.

Das weiß auch Daniel Ortega und erklärt lakonisch, „wenn sie nicht einverstanden sind, sollen sie doch austreten“. So wartet alles auf die Spaltung, und die Wahlchancen für 1996 sinken weiter. Priester Ernesto Cardenal wollte da nicht mehr mitmachen.

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