: Anna-log und Digital
■ Galerie Vorsetzen: Gespräch über Anna Oppermanns Nachlaß
Eine kontroverse Diskussion lösten am Mittwoch abend die computergestütze Bild-Text-Dokumentation und die Neu-Installationen von Anna Oppermanns Un-Endlichen Bildarchiven aus. Am Beispiel der Ensembles „Mythos und Aufklärung“ und „Umarmungen, Unerklärliches und eine Gedichtzeile von R.M.R.“ wurden die beiden Bereiche der Werksicherung, „Sichtung, Bewahrung und Veröffentlichung“ und „rechnergestützte Dokumentation“, in einer sehenswerten Dia- und Computer-Vorführung vorgestellt.
Für den ersten Bereich zeichnen die Kunsthistorikerinnen Karolina Breindl, Ute Vorkoeper und der langjährige Lebensgefährte der Künstlerin, Herbert Hossmann, verantwortlich. Die „Digitale Archivierung“ von Martin Warnke und Carmen Wedemeyer führte zur Produktion einer CD-Rom. Um die hochkomplexen Ensembles von Anna Oppermann aus den Nachlaß-Tüten wieder in ihrem Kontext erscheinen zu lassen und das Werk generell einer Ausstellungs-Präsentation über den frühen Tod der Künstlerin hinaus verfügbar zu machen, steht die Projektgruppe vor der Schwierigkeit, die von der Künstlerin selbst geforderten Modifikationen und Raum-Anpassungen mit- und nachdenken zu müssen.
Die Vermittler, die sich hier auf kein Testament berufen können, rekonstruieren vom Standpunkt ihrer Gespräche. Anna Oppermann selbst hatte geschrieben: „Die Offenheit des Arrangements erlaubt dabei Korrekturen und Modifikationen - zumal Denklischees aufgebrochen werden können durch spielerische Konfrontationen.“
Der Computer als Hilfsinstrument zur Analyse, als Überwindung des „langsamen“ Zettelkastens, als Möglichkeit paralleler Verweisstrukturen ist eine kunsthistorische Innovation für spezielle Kunstfälle. Schwieriger wurde die Diskussion bei der Betrachtung der Neu-Installationen in Hannover, Odense und Sydney, die von den drei Nachlaß-Sicherern gestaltet wurden. Die Diskussion entfachte sich zunächst an einer „beängstigenden Verfügbarkeit von Werk und Künstler“ (KP Brehmer) und der Forderung „nach dem Tod der Künstlerin nur das, was sie selbst gestaltet hat zu belassen, und Ensemble-Einzelteile auszustellen“ (D. Helms). Weitere Argumente gaben der Diskussion eine Glaubens-Richtung: Der Computer sei an der Entsinnlichung des Materials und der unkontrollierten, universellen Verfügbarkeit schuld, die der Autorschaft ihr Recht entzieht.
Die tatsächliche aktuelle Problematik und Stärke des Werkes von Anna Oppermann liegt in der kunsthistorischen und musealen Praxis selbst. Universitäts-Seminare und Museums-Kustoden agieren mit dem zweischneidigen Begriff der „Objektivität“ ihrer Methoden. Im bürokratischen Haushalt der bloßen Rekonstrukteure hat das subjektive Kriterium der „Einfühlung“ keinen Platz. Bezeichnenderweise waren weder Wissenschaftler von der Hamburger Kunsthalle, noch vom kunsthistorischen Seminar bei dieser elementaren Diskussion zugegen. Eine weitere Frage ist die Legitimation von posthumen Hängungen. Hier müßte der Künstlertypus die Grundlage liefern: Ist das Werk unmittelbar mit dem Künstler und seinem Lebens- und Werklauf verbunden oder anonymes Spiel mit dem Rezipienten?
Der Einsatz rekonstruktiver Mittel bleibt immer an das Ethos der Benutzer gebunden. Viel interessanter ist die Frage nach der gegenwärtigen Bestimmung der Begriffe Autorschaft, Authentizität und Originalität. Entscheidend ist, wo die Rest-Ressource Freiheit sich in der Kunst-Praxis verorten kann gegen pseudo-objektive Normierungen und Standardisierungen. Und so blieb am Ende des Abends die Frage, warum die Ensembles von Anna Oppermann sich aus der Ecke, dem Winkel herausarbeiteten, die Neu-Installationen jedoch zentriert sind. Hat da der Computer vielleicht doch...?
Gunnar F. Gerlach
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