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Milde Strafen für Skins

■ Bewährung nach Serie der Gewalt

Magdeburg (taz) – Auf der Anklagebank sahen sie aus wie nette Jungs von nebenan. Aber vor drei Jahren gehörten alle vier Angeklagten zum harten Kern der Magdeburger Skinhead-Szene und zogen, so die Vorsitzende Richterin der Jugendkammer am Magdeburger Amtsgericht, Claudia Methling, „eine blutige Spur der Gewalt durch den Landkreis Wolmirstedt“. Höhepunkte der Gewaltserie, der drei Monate lang niemand Einhalt gebot: Das Auto zweier Punks wurde auf das Dach gedreht und mit einer Leuchtpistole in Brand geschossen. Die beiden Punks erlitten schwere Verletzungen. Bei einem Überfall auf vier türkische Blumenverkäufer schossen die Skins einen der Türken in Brand. Hasan Cagla erlitt dabei schwerste Verbrennungen, ist mittlerweile zu 40 Prozent erwerbsunfähig und wird nach Ansicht der Sachverständigen bis an sein Lebensende unter den psychischen und physischen Folgen der Tat leiden. Trotz dieser Gewalttaten verhängte das Gericht gestern vergleichsweise milde Jugendstrafen zwischen neun Monaten und zwei Jahren, die in allen vier Fällen zur Bewährung ausgesetzt wurden.

Ausgesprochen schlampige Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft sind schuld daran, daß zwischen der Serie der Gewalttaten und ihrer Bestrafung so lange Zeit vergangen ist. „Die Versäumnisse der Polizei kann man auch nicht mit den Wirren der Nachwendezeit entschuldigen“, findet Nebenklagevertreter Gregor Kochhan. Zahlreiche Zeugen wurden niemals vernommen, den Opfern der Gewalttaten wurden weder Fotos vorgelegt, noch wurden sie den Tätern gegenübergestellt.

Die Angeklagten, die zumindest Teilgeständnisse ablegten, konnten sich an wichtige Details nach der langen Zeit ebensowenig erinnern wie die Zeugen. „Ich habe keine Lust, die versäumten Ermittlungen hier im Gerichtssaal nachzuholen“, wetterte Richterin Claudia Methling irgendwann und schloß die Beweisaufnahme. Keine Lust dazu hatte wohl auch der ermittelnde Staatsanwalt. Auch er verzichtete auf die Vernehmung von Zeugen, zeitweilig waren die kompletten Ermittlungsakten verschwunden. Selbst der Vertreter der Staatsanwaltschaft, Uwe Hornburg, konnte sich in seinem Plädoyer Kritik an der eigenen Behörde nicht ganz verkneifen. Die Nebenklägervertreter haben Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Ermittlungsbehörden gestellt. Eberhard Löblich

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