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Wenn das der Edouard noch erlebt hätte!

■ „Hamburg Komplett“: Michael Koglins anderer Museumsführer macht Schaulust

Im Unterrock steht sie da und guckt einen selbstbewußt und stolz an. Ihre spärliche Bekleidung scheint sie ebensowenig zu beschämen wie ihr Gewerbe: Nana, so ihr Name, ist Kurtisane. Erschaffen wurde sie in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts in Paris von Edouard Manet und hängt nun schon seit siebzig Jahren „in Öl an der Wand“ der Hamburger Kunsthalle. Ihrem Schöpfer hat Nana nur Ärger eingebracht, wie sie Michael Koglin, dem Autor des Hamburger Museums-ver-führers Hamburg Komplett, in einem – fiktiven – Gespräch verriet. 1877 lehnte der Pariser Salon das Bild als „indezent“ ab. Nana wurde erst später berühmt und bedauert, daß „ihr Manet“ dies nicht erleben durfte. Nana kann viel erzählen. Über ihre Nachbarn an der Wand weiß sie genauestens bescheid, und sie könnte Gäste durch die gesamte Kunsthalle führen, wenn sie nur Zeit hätte. Sie hat aber keine, weil sie sich um ihr Etablissement kümmern muß, und so bleibt Herrn Koglin und den Lesern ebenfalls nichts anderes übrig, als selbst zu schauen – Öffnungszeiten, Eintrittspreise sowie Telefonnummer und Anschrift hat Koglin in seinem Museumsführer auch angegeben. Wer trotz allem nicht alleine gucken möchte, dem werden Führungen angeboten. Wahrscheinlich nicht von Nana persönlich, aber immerhin.

Hamburg Komplett, in dem sich die beiden etwas anderen Führer Koglins zu Hamburgs staatlichen und nichtstaatlichen Museen neuaufgelegt und aktualisiert wiederfinden, lädt ein zu einer Reise durch Kunst- und Deichtorhallen, aber auch durchs Zoll- oder Automuseum. Immerhin strömten 1993 über 2,5 Millionen Menschen in staatliche und private Schauen. Michael Koglin hat auch Ausstellungsorte aufgestöbert, von denen viele Hamburger wahrscheinlich noch nie gehört haben. So zum Beispiel vom Mana Kumaka Assids Indio Museum. Dieses Museum vermittelt einen Eindruck über Kultur und Leben der Karaiben, einem Indianervolk am Amazonas, das von Ausrottung bedroht ist.

Interessant für so manchen, dem eines schönen Tages die Brille oder der Ehering durch die Toilettenschüssel verschwand, ist vielleicht das Abwasser-und Sielmuseum. Seit Jahren schon sammeln die Arbeiter des Hafenpumpwerkes besonders skurrile oder wertvolle Fundstücke, die zusammen mit einer großen Zahl weiterer „blinder Passagiere“ tagtäglich aus der Kanalisation gefischt werden.In die traditionellen Schaustätten großer Kunst oder kleiner Liebhabereien entführt uns Koglin - und wer' s genau wissen möchte, ja der muß halt selber lesen – und schauen.

Martje Schulz

Hamburg Komplett, ca. 300 Seiten, 39,80 DM, Junius-Verlag

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