„Es ist alles wunderbar!“

Wenn die nette, kleine Pauschalreise an der leeren Kasse des Veranstalters zerbricht. Erlebnisbericht nach dem Konkurs von „Mit uns Reisen“  ■ Von Joachim Schmitz

Yvonne, das Mädchen an der Hotelrezeption, ist bleich. Sie bittet eindringlich: „Zahlen Sie sofort Ihre Telefonrechnung, und dann nichts wie weg. Wir haben gerade gehört, daß das Flugzeug nach Düsseldorf Ihre letzte Möglichkeit ist, nach Deutschland zu kommen.“ Hinter uns stapeln sich schon die Koffer der anderen Hotelbewohner. Wir haben eine Stunde Zeit, unsere Taschen vollzustopfen und unser Baby mit einem Gläschen Demeter-Mischgemüse und frischen Windeln zu versorgen. Ein Alptraum. „Nie wieder Pauschalurlaub“, denke ich.

Dabei haben wir nur einen netten, kleinen last minute-Urlaub auf Kos gebucht. Auf der drittgrößten Insel des griechischen Dodekanes, also zwischen Patmos und Rhodos, hat einst der Arzt Hippokrates gewirkt. Und unser Hotel ist nach ihm benannt, in der Empfangshalle stehen einige Marmorsäulen herum. Morgens und abends gibt es kalt/warmes Buffet, und am Swimmingpool warten bleichgesichtige Touristen auf den Sonnenbrand.

Unser Taxi rast durch das Dikeos-Gebirge, karge Landschaft, malerische Bergdörfer. Wir hatten vor, in der nächsten Woche einige Ausflüge ins Landesinnere zu machen. Autos, Motorräder und sogar Fahrräder sind hier billig zu mieten. Doch das hat uns Lefteris Paparizos gründlich versaut. Am Freitag morgen hat der Geschäftsführer des Ingolstädter Reiseunternehmens „Mit uns Reisen“ der ,dpa‘ gesagt, er müsse wahrscheinlich Konkurs anmelden. Und das hat sich zügig bis nach Griechenland herumgesprochen. Schon morgens wurden keine Touristen mehr nach Kos gebracht. Und weil die Hotels und die Fluglinie keine Mark von „Mit uns Reisen“ erhalten haben, müßten wir wie 4.000 andere Urlauber von jetzt an alles selber bezahlen. Die Reisebegleiterin ist nicht erreichbar. Dabei hat sie uns beim Begrüßungscocktail (es gab ein Gläschen voller Orangennektar, wahlweise einen Ouzo) gesagt, wir könnten mit jedem Problem zu ihr kommen, sie würde sich aber auch freuen, wenn mal jemand sagen würde: „Es ist alles wunderbar. Vielen Dank!“ Jetzt müssen wir retten, was noch zu retten ist.

Auf dem Flughafen drängeln sich etwa 200 Urlauber um den Check-in-Schalter. Ein junger Tourist aus Düsseldorf stöhnt: „Und das Schlimmste ist: Hätten wir zwei Wochen später gebucht, wäre das alles kein Problem. Dann tritt nämlich so ein neues Gesetz in Kraft.“ Das weiß ich auch: Vom 1. November an bekommt jeder Pauschalreisende einen Sicherungsschein, der nachweist, daß der Veranstalter die Kundengelder gegen Konkurs versichert. Das hilft uns jetzt aber wenig. Die meisten Urlauber auf dem Flughafen sollten heute sowieso nach Hause fliegen. Einige haben zwar wie wir bis 4. November gebucht. Und alle machen mit im Informationspoker: „Mein Rechtsanwalt in Deutschland hat mir gefaxt, daß sich Atlas- Reisen um unseren Rückflug kümmert.“ Das hilft uns nichts, denn wir haben bei OVA-Reisen gebucht.

„Ich habe eine Freundin im Reisebüro angerufen. Die hat gesehen, daß die Flüge, die nächste Woche gehen sollen, einfach von ihrem Bildschirm verschwunden sind. Der Flieger jetzt ist also unsere letzte Chance.“ Unser Tischnachbar aus dem Hotel ist auch da. Der last minute-erfahrene Oberhausener schürt die Panik: „Die fliegen keine Urlauber mehr her. Und ihr glaubt doch nicht, daß die nur kommen, um uns abzuholen. Das zahlt denen doch keiner.“ Die Studenten aus dem Stadthotel Kos nehmen unser Unglück recht gelassen: „Gleich kommt Harald Schmidt um die Ecke. Dem erzähl' ich aber was. Prost.“ Uns würde es schon reichen, wenn irgend jemand käme, den wir anbrüllen könnten. Aber alle, die irgend etwas wissen, sind verschwunden. Immerhin: Ich stehe als erster am Check-in-Schalter „Nichtraucher“. Eine gute Startposition. Von hinten dringt das Gerücht durch, in der Maschine nach Düsseldorf seien noch 70 Plätze frei. Die Hosteß hinter dem Schalter versteht plötzlich nur noch Griechisch, wartet auf Anweisungen von oben.

Die Anweisungen von oben kommen: Erst sollen mal die regulären Heimflieger einchecken, dann werden freie Plätze gezählt, und dann kommen wir an die Reihe. Zähneknirschend gebe ich unsere Spitzenposition auf und stelle mich in die Ecke „4. November“. Galgenhumor bricht durch: „Wenn die freien Plätze verteilt werden, packen wir unsere Messer aus“, witzelt ein Wuppertaler. Uns und zwei weitere Pärchen hat es besonders hart getroffen: Wir wollen nicht nach Düsseldorf, sondern nach Stuttgart. „Das ist schon schwierig“, werden wir bedauert, „nachts um elf mit einem Kind auf dem Flughafen Düsseldorf. Was macht ihr denn, wenn ihr da seid?“ Keine Ahnung.

Irgendwann ist der Nervenkrieg überstanden. Wir sitzen im Flieger. Es gibt sogar noch freie Plätze, alle hatten Glück. Stockend erklärt uns die Stewardeß, daß ihre Gesellschaft diesen Flug nur als Öffentlichkeitsarbeit mache. „Mit uns Reisen“ zahle nichts mehr – man müsse aber den eigenen Ruf retten. Später verschwindet eine Kollegin auf der Toilette und erscheint nach zehn Minuten mit verheultem Gesicht. In der Oberhausener Ecke weiß man Bescheid: „Die haben heute ihren letzten Flug. Die sind gekündigt, weil der Airbus nur für ,Mit uns Reisen‘ geflogen ist.“ „Willkommen in Düsseldorf. Wir bedauern, daß dieser Flug unter solchen Umständen stattfinden mußte. Ich will mich aber bei Ihnen für Ihr Verständnis bedanken und dafür, daß Sie besonders nette Fluggäste waren.“ Wir sind in Deutschland und die Chef-Stewardeß der dänischen Gesellschaft an einem Karriereknick.

Epilog: Am nächsten Tag erreichte ich das Reisebüro am Stuttgarter Flughafen. „Ich erkläre Ihnen, wie das ist“, sagte Herr Wolf, „wir sind nur die Vermittler. Die Reiseveranstalter sind ,Mit uns Reisen‘. Ich kann Ihnen die Telefonnummer geben. Und wenn Sie dort niemanden erreichen, können Sie sich an das Auswärtige Amt in Bonn wenden. Die sind für Reiserückführungen zuständig. Ich kann Ihnen nicht helfen.“ Wir haben uns nicht an das Auswärtige Amt gewendet, sondern haben 202 Mark der Bundesbahn in den Rachen geworfen. Was ist das schon gegen die 3.000 Mark, die uns der Abenteuer-Pauschalurlaub gekostet hat?