Die Kunst der Pause

■ Ab morgen in Bremen: „Kronos ohne Zeit“, ein Musiksymposium gegen die Tyrannei der allzeit planbaren Zeit

„Wie keine andere Kunstgattung ist die Musik dem Vergehen anheimgegeben, ja ausgeliefert“, klagte der Komponist Bernd Alois Zimmermann. Also begann er, anders mit der Zeit umzuspringen, als dies in traditionellen Kompositonsschemata vorgesehen ist. Gegen die geviertelten und geachtelten Taktvorgaben setzte er eine eigene Zeit, diesmal gemessen an maßgeschneiderten, „für das jeweilige Werk zu konstituierenden Proportionen“. Zimmermanns Worte über „Intervall und Zeit“, 1957 aufgeschrieben, werden nun in die Gegenwart geholt: Morgen beginnt ein Symposium zu Fragen der Zeit namens „Zeit ohne Kronos“; eine Fachtagung, das sich ganz im Sinne Zimmermanns auf die Suche nach der „Eigenzeit in gegenwärtiger Musik“ begibt.

Ein Gespür für solche Zeitfragen besitzt in Bremen die „Projektgruppe Neue Musik“. Zum dritten Mal haben die derzeit sieben Musikenthusiasten ein spannendes, sorgfältig ausgewähltes Konzert- und Vortragsprogramm erarbeitet. Musik von John Cage, Luigi Nono und anderen Zeitgenossen wird von Interpreten wie z.B. dem Pellegrini-Quartett gespielt; dazwischen sind Fachvorträge und Podiumsgespräche geplant. Das alles mußte mit weit weniger Geld als in der Vergangenheit bewältigt werden. Der Hauptbrocken von 50.000 Mark kommt immer noch aus dem kleinen Topf des Kulturessorts, das damit auch die Kapazität der Bremer auf dem Gebiet der Neuen Musik anerkennt und fördert.

So soll auch diesmal das musikologische Thema im Kontext anderer Disziplinen abgeklopft werden. Man mag an Robert Wilsons Theater im Schneckentempo denken, an die Zeitraffermaschine MTV oder an die quälend zerdehnte Zeit in den Science-Fiction-Filmen von Tarkowski – mit dem Luigi Nono, einer der Wegbereiter der Neuen Musik, nicht ganz zufällig kooperierte. Aber man muß auch gar nicht auf die Bühne oder Leinwand schauen, um auf die Zeitfrage zu stoßen: „Da braucht man nur in irgendeine Ecke gucken, Verkehrsplanung, Arbeitsplatz, Schule“, sagt Uwe Rasch, in Bremen ansässiger Komponist und Mitarbeiter der Projektgruppe; „die Zeit ist überall Thema.“ Und damit auch eine kanonisierte Auffassung von Zeit: die lineare Zeitvorstellung, wie sie vor allem in den Industriegesellschaften den Takt diktiert, und mit ihr die Idee „von grenzenloser Planbarkeit und permanenter Beschleunigung technischer und sozialer Prozesse“. Gegen die sich die Kritik des Symposiums richtet: „Eigenzeit“ statt Raserei.

Diese Kritik fängt in der Musikgeschichte freilich nicht erst bei Zimmmermann an. Von Ligeti bis John Zorn haben Komponisten versucht, mit stark verdichteten, ultraschnell zu spielenden Stücken die Grenzen zu sprengen und „eine extrem aufgeladene Zeit“ (Rasch) darzustellen. Die Gegenseite übte sich in der Kunst der Langsamkeit – bis hinauf zu John Cages „4'33“, das allen Beteiligten eine einzige, anhaltende Kunstpause vorschreibt. Bis zu Schubert wollen die Musikologen jetzt solche Ansätze zurückverfolgen und zeigen, daß schon der „ja mehr als Wirtshauskomponist“ bekannte Schubert mit den landläufigen Vorstellungen seiner Zeit brach.

tom

Samstag ab 15 Uhr, Sonntag ab 9 Uhr, in der Galerie Katrin Rabus, Plantage 13