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Und immer wieder sind es „unbekannte Täter“

■ Internationaler Tag der Menschenrechte: In der Türkei werden engagierte AnwältInnen immer öfter selbst zu Opfern von Folter und staatlicher Repression

Berlin (taz) – „Die Welt steht in der Schuld des kurdischen Volkes“ – so hatte die Rechtsanwältin Eren Keskin einen Bericht des Türkischen Menschenrechtsvereins (IHD) an das belgische Parlament überschrieben. In der mittlerweile verbotenen pro-kurdischen Zeitung Özgür Gündem wurde er dokumentiert – und Keskin prompt wegen „separatistischer Propaganda“ zu zwei Jahren Haft verurteilt. Das war im September. Wenn das Urteil rechtskräftig wird, verschwindet auch sie hinter Gittern – wie die anderen 117 Intellektuellen, die derzeit in türkischen Gefängnissen sitzen, weil sie sich zur Kurdenfrage geäußert haben.

Als Mitglied im Vorstand der Istanbuler Zweigstelle des IHD nahm Eren Keskin an unzähligen Kommissionen teil, die vor Ort Menschenrechtsverletzungen überprüfen. Ihr Engagement brachte Keskin nicht nur Prozesse ein, sondern auch Morddrohungen. „Wir nehmen gerade Maß für deinen Sarg“, wird ihr am Telefon verkündet, ihr Büro ist ständig bewacht. Am 6. Oktober schien es ernst zu werden: Keskin hatte gerade die Übergriffe der Aufseher im Gefängnis von Diyarbakir untersucht, bei denen Tage zuvor ein Gefangener getötet und Dutzende verletzt worden waren. Auf dem Weg zum Flughafen wurde plötzlich aus einem weißen Kleinbus auf Keskin geschossen – die Kugel traf nur das Taxi. „Reine Einschüchterung“, glaubt Keskin heute.

Wenn die Täter gewollt hätten, wäre Keskin heute nicht mehr am Leben. Zehn Mitarbeiter der IHD- Zweigstellen in den kurdischen Gebieten wurde zwischen 1991 und 1993 von „unbekannten Tätern“ ermordet. Die ehemalige IHD-Vorsitzende von Diyarbakir Meral Danis Beștaș wurde im November 1993 zusammen mit anderen AnwältInnen wochenlang im Polizeipräsidium mißhandelt und sexuell belästigt. Der Grund für ihre Inhaftierung ist nach Überzeugung von amnesty international ihr Engagement für die Menschenrechte – jetzt läuft gegen sie ein Prozeß wegen angeblicher Unterstützung der kurdischen Arbeiterpartei PKK. 14 Zweigstellen des Vereins, das sind fast alle in Türkisch-Kurdistan, mußten bereits geschlossen werden.

Aber auch außerhalb Kurdistans wächst die Repression gegen MenschenrechtlerInnen. So wurde der kurdische Anwalt Riza Dinç aus Istanbul am 1. Oktober schwer gefoltert und anschließend inhaftiert. Sein Prozeß wurde noch nicht eröffnet. Eine absichtliche Verzögerung, meinen seine Anwälte, weil Dinç sonst sofort freigelassen werden müßte. Er gehört zu den Anwälten, die immer wieder anprangern, daß eine echte Verteidigung in Prozessen gegen KurdInnen heute kaum noch möglich ist.

Während sich die Repression früher gegen die Linke richtete, sind heute vor allem KurdInnen und pro-kurdisch Engagierte den staatlichen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, seit 1991 „kommunistische Propaganda“ nicht mehr unter Strafe gestellt ist und gleichzeitig die neuen „Antiterrorgesetze“ verabschiedet wurden. Auch der Menschenrechtsverein mußte seine Aktivitäten darauf einstellen – und wird jetzt vom Staat als „kurdische Organisation“ dargestellt. Eine Fehleinschätzung, die auch von Teilen der türkischen Linken übernommen wird. Sie tun sich schwer damit, sich für KurdInnen so einzusetzen, wie sie das für TürkInnen tun würden. In Diskussionen protestieren sie heftig gegen die Verwendung des Wortes Kurdistan oder gegen Beiträge auf kurdisch – und zeigen damit, wie wenig sie das kemalistische Verständnis von der „unteilbaren türkischen Nation“ überwunden haben.

So muß der Menschenrechtsverein heute nicht nur mit einer zunehmenden Arbeitsbelastung durch die tägliche Verschärfung der Menschenrechtssituation und der immer stärker auch gegen den Verein gerichteten Verfolgung fertigwerden. Er muß sich auch mit den eigenen Mitgliedern auseinandersetzen. Aber, so Eren Keskin: „Das größte Problem des Menschenrechtsvereins ist der Staat.“ Heidi Wedel

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