: Junge Mutter erwürgte ihr schlafendes Baby
■ Drogensüchtige kam über den Heroin-Tod ihres Freundes nicht hinweg
Tagelang lag die Leiche der elf Monate alten Franziska in der Sozialwohnung in der Weddinger Feldstraße, bis Nachbarn durch den Verwesungsgeruch aufmerksam wurden. Ihre Mutter, die damals 19jährige Isabel H., hatte das Baby am 30. Juni 1993 im Schlaf erwürgt und danach versucht, sich mit einer Überdosis Heroin das Leben zu nehmen. Doch Isabel überlebte den Suizidversuch. Nachdem sie wieder aufgewacht war, hatte sie sich acht Tage lang nicht um den getöteten Säugling gekümmert.
Dies ist nicht nur für das Gericht unverständlich, vor dem sich die inzwischen Zwanzigjährige seit vergangenem Montag verantworten muß. Die junge Frau auf der Anklagebank gab an, ihr elf Monate altes Baby erwürgt zu haben, um ihm eine ähnlich einsame Kindheit wie die ihre zu ersparen. Das war eine der zwei Kernaussagen, die während der überwiegend unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindenden Gerichtsverhandlung bekannt wurden. Die andere: Isabel H. wurde mit dem Tod von Franziskas Vater offensichtlich nicht fertig.
Seit Martin N., der Freund von Isabel H., kurz vor Pfingsten an einer Überdosis Heroin gestorben war, sei es mit ihr nur noch bergab gegangen. Isabel, die nach Aussagen ihrer Stiefmutter bereits mit zwölf Jahren ein „schwieriges Kind“ gewesen sei und bis 1990 in Heimen aufwuchs, griff immer häufiger selbst zu Drogen und wurde heroinabhängig.
Nach Aussagen von Nachbarn vernachlässigte sie zunehmend die kleine Franziska, und immer häufiger mußten Bekannte auf das Baby aufpassen.
Den Entschluß, sich und das Kind zu töten, will sie nach eigenen Angaben bereits längere Zeit zuvor gefaßt haben. Doch erst am Abend des 30. Mai 1994 setzte sie diesen Entschluß in die Tat um. Zuvor hatte sie sich eine Spritze Kokain injiziert, anschließend ihre Tochter gefüttert, gewindelt und zu Bett gebracht. Nachdem die Kleine eingeschlafen war, kehrte sie ins Kinderzimmer zurück und erwürgte ihre Tochter. Anschließend löste sie zwei Gramm Heroin auf, um sich damit einen „Goldenen Schuß“ zu setzen, wachte jedoch rund 24 Stunden später wieder auf.
Einen weiteren Selbstmordversuch unternahm sie nicht, weil ihr Geld für eine weitere Überdosis fehlte. Zunächst versuchte sie ihr Leben weiterzuführen, als sei nichts vorgefallen. Doch den Nachbarn fiel auf, daß etwas nicht stimmte: „In letzter Zeit hatten wir sie gar nicht mehr mit dem Kind auf der Straße gesehen“, erzählte eine Zeugin. „Irgendwie ist uns das schon komisch vorgekommen.“
Der Staatsanwalt forderte für Isabel H. eine vierjährige Freiheitsstrafe wegen Totschlags. „Bei allem Verständnis für die außergewöhnlich schwierige Biographie der Angeklagten“ hielt er eine mehrjährige Freiheitsstrafe für angemessen. Das Gericht hingegen verurteilte die junge Frau zu einer Strafe von zwei Jahren und sieben Monaten, in der Absicht, der Heranwachsenden die Möglichkeit einzuräumen, eine Drogentherapie zu absolvieren.
Wie ein Sprecher der Polizei mitteilte, sei der Tod der elf Monate alten Franziska in diesem Jahr bereits das dritte Verbrechen, bei dem in Berlin Kinder von ihren eigenen Eltern umgebracht worden sind. Im Januar hatte ein Vater seinen zehn Monate alten Sohn aus dem neunten Stockwerk eines Mietshauses in Kreuzberg geworfen. Erst am 30. Juni erhängte sich in Reinickendorf eine 32jährige Mutter, nachdem sie zuvor ihre sechsjährige Tochter umgebracht hatte. Peter Lerch
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