: Dany contra Joschka
■ betr.: „Warten auf den nächsten Parteitag“, taz vom 30.12.94
Die grüne Partei, in die ich einmal eingetreten bin, wandte sich grundsätzlich gegen die Anwendung zwischenstaatlicher Gewalt durch Kriegshandlungen und war für die Sicherung des Friedens mit politischen Mitteln statt mit militärischen. Diese Positionen halte ich nach wie vor nicht für weltfremde Träumereien, sondern für die einzig realistische Herangehensweise an internationale Konflikte. Praktisch alle Militärinterventionen der Geschichte haben den eigentlichen Konfliktherd nicht beseitigt, ein leicht verdrängtes schreckliches Beispiel ist Afghanistan. In letzter Argumentationsnot wird einem dann immer wieder die Besetzung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg entgegengehalten. Wie will man aber dem Relativismus von Nolte und Co. glaubwürdig entgegentreten, wenn man damit implizit Karadžić mit Hitler vergleicht?
Am Problem ändert sich überhaupt nichts, wenn nationale Armeen zu einer westeuropäischen Streitmacht verschmolzen werden. Der Soldat einer „europäischen“ Interventionsarmee wäre genauso ein Mörder wie ein deutscher.
Lieber Joschka, lieber Dany, kommt zu Euch und entwickelt politische Konzepte statt die inoffizielle Nato-PR-Abteilung, die wirklich stark genug ist, zu vergrößern! Thomas Groß, Heidelberg
[...] Cohn-Bendits Argumentation gerät einige Male aus den Fugen. Die Forderung nach der Normalisierung Deutschlands – mal wieder ausschließlich militärisch definiert – hört mensch sonst immer aus Regierungskreisen oder im Historikerstreit. Moralischer Maßstab sind für ihn nicht mehr die polnische oder französische Bevölkerung, sondern deren weise Regierungen in „Paris, London oder Warschau“.
Für Cohn-Bendit stellt sich nicht die Frage, welcher Qualität eine Außenpolitik ist oder sein sollte, sondern nur, wer sie betreibt. Ein derart naiver „europäischer Internationalismus“ ist mehr als erschreckend. Läßt er doch andere Hintergedanken vermuten: Keine Kritik an der Politik und Struktur von Nato oder der Europäischen Union, undifferenzierte Gleichsetzung von Europa und Europäischer Union. Einerseits der Vorwurf, Europa stünde in der Tradition des Appeasement – eine sehr berechtigte Kritik – andererseits der naive Glaube, daß eine „europäische Außenpolitik“ (welches Europa?) der Schlüssel zum Glück oder zur Rettung der Menschen in Bosnien wäre. Die Abschottung gegenüber den bosnischen Flüchtlingen, die eskalationsträchtige Anerkennungspolitik oder die Halbherzigkeit ziviler Maßnahmen, sind ihm keine Erwähnung wert. Und für Fischer ist das „Spektakel um eine Supermacht Europa sogar ziemlich daneben“.
Schade, daß wenn zwei derart profilierte grüne Politiker zwei taz- Seiten lang miteinander diskutieren, zivile Konfliktlösungsstrategien kaum erwähnt werden. Oder liegt es an der Gesprächsführung der taz-Redakteure, die in ignoranter und dummdreister Art deutsche Beiträge zur Konfliktlösung (mal wieder) nur militärisch verstehen wollen? Daß eine pazifistische Politik nichts mit Passivität zu tun hat, dürfte sich doch auch in der Kochstraße herumgesprochen haben.
[...] Weder Bündnis 90/ Die Grünen noch die SPD, geschweige denn die PDS, haben eine fertige außenpolitische Antwort auf die veränderte Weltlage. Die Diskussion über grüne Vorschläge für eine K(O)SZE-Reform sind noch lange nicht abgeschlossen, und ich wäre froh, wenn sich Cohn-Bendit an den Überlegungen der grünen Fachgremien beteiligen würde.
Militärische und machtpolitische Konzepte werden bereits von Naumann, Kohl und Kinkel vertreten, sie kosten pro Jahr zirka 50 Milliarden DM und tragen nicht zur Lösung oder wesentlichen Linderung der weltweiten Probleme bei – nur auf der Bremse zu stehen, Joschka, reicht hier leider nicht.
Nicht jeder „deutsche Sonderweg“ ist pauschal als falsch zu bezeichnen. Insbesondere dann nicht, wenn er „Einseitige Abrüstung“ hieß oder wenn er den Einsatz für eine nicht-militärische Konfliktlösung bedeutet. Wenn, dann liegt hier eine deutsche „Bringschuld gegenüber der Geschichte“. Klaus Müller, Kiel
Erinnern wir uns: Anno 1866 führten auch Preußen und Bayern noch Krieg gegeneinander. 100 Jahre später kann ein Saupreuß als Polizist im Freistaat Bayern eingesetzt werden. Seine Herkunft ist egal.
Laut Biermann gilt „Soldaten sehn sich alle gleich ...“. Wenn wir davon ausgehend fordern, 1. das deutsche „Hoheits“-Abzeichen – dieses Stigma von und für Nationalisten – an unserem Kriegsgerät zu überpinseln um EU, KSZE, UNO oder dergleichen drüberzuschreiben, 2. die Soldaten zu Polizisten befördern, dann könnte sich sicherlich die Mehrheit der Deutschen, Cohn-Bendit, Fischer, die Grünen eingeschlossen, auf einen Militär- pardon Polizei-Einsatz in Ex-Jugoslawien einigen, ein halbes Jahrhundert nach Weltkrieg II. Arnold Bauer,
Garmisch-Partenkirchen
Cohn-Bendit entlarvt sich: Er will „Verantwortung“ tragen, nicht zuletzt militärisch-machtpolitischer Art, just wie sie in England und vor allem in Frankreich gängig ist. Was „nicht so weiter geht“, ist nicht etwa solche militärisch geprägte Machtpolitik, sondern daß Deutschland dabei nicht voll mitmacht. Soll es so herauskommen, wenn Grüne bundespolitische „Verantwortung“ übernehmen?
Dann müßte all das unterstützt werden, das aufzubrechen und zu korrigieren die Grünen einmal aufgestanden sind: der stets steigende Militäretat, der Terror durch Tiefflugübungen, der Primat der harten Technologien, die undemokratischen Geheimdienste, die Frisierung der Wahrheit gegenüber der Bevölkerung, ohne die militärische Einsätze noch nie möglich waren usw. usf. Sollte es der Sinn grüner Politik bei uns sein, daß deutsche Politik in die französische Militärpolitik integriert wird – gerade jetzt, wo man endlich erfährt, wie diese in Völkermord und Verletzung der Menschenrechte involviert ist (Ruanda, Algerien)? Zu solcher „Europäisierung“ sagt Fischer nichts, ebensowenig zu Rüstungsexporten, ohne die die Kriege überall so nicht stattfinden könnten. Wenn sie dazu keine politischen Konzepte haben, was soll es, daß die Herren in die politische Verantwortung drängen?
[...] Cohn-Bendit will die französische und englische Bosnienpolitik ändern, sowohl der Option nach wie im Sinne stärkeren militärischen Eingreifens. Dazu und nur dazu braucht es deutsche Militärbeteiligung! Das war schon der Sinn des Artikels von Freimut Duve (taz vom 14.12.94). Denn so wie es jetzt in Bosnien läuft, läuft es auch ohne deutsche Beteiligung, ohne daß jemand etwas vermißt. Das wissen Duve wie Cohn-Bendit sehr gut. Aber sie wollen zeigen, was eine militärische Harke ist, wenn Deutsche zupacken. Und die promilitärische Demagogie beherrschen sie auch schon: moralisch Druck zu machen. Wenn die Grünen sich davon nicht deutlich unterscheiden (und Fischers Kritik an Cohn-Bendit sieht oft mehr nach Kumpanei als nach Abgrenzung aus), ist die Fortsetzung der Ära Kohl allemal das kleinere Übel gegenüber einer derart abenteuernden „Mitverantwortung“ der Grünen zusammen mit der SPD, zu der die älter werdenden Männer (richtige Männer!) da drängen. Dieter Schellong, Münster
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