■ Butros Ghalis Bericht an den Weltsicherheitsrat
: Ein Schritt zurück ...

Wer Umstürzlerisches ins Werk setzen will, ist gut beraten, seine Absichten ins Gewand traditioneller Begriffe zu kleiden. Als Butros Ghali 1992 seine „Agenda für den Frieden“ vorstellte, hielt er sich exakt an diese Empfehlung Niccolò Machiavellis. Er umkleidete die geplante revolutionäre Neuerung, die Einrichtung einer ständigen, seinem Kommando unterstellten Eingreiftruppe der UNO, mit jeder Menge konventioneller Rhetorik über das Prinzip staatlicher Souveränität. Die in solchen Manövern geübten Staatsleute des Westens, voran die der USA, ließen sich allerdings keine Sekunde von Ghali täuschen. Präsident Bush sagte wohlwollende Prüfung zu, und die Eingreiftruppe blieb auf dem Papier.

Obwohl Ghali in der Agenda das Wort „Intervention“ peinlich vermied, war es ihm klar, daß das Peace-keeping, die Blauhelm-Einsätze der vergangenen Jahrzehnte, an eine Grenze gestoßen waren: „Es ist eine sich herausbildende Tatsache, daß die Nationen heute mehr mit sich selbst im Kriegszustand stehen als mit anderen Nationen. Die Tatsache, daß sich Verwüstungen innerhalb nationaler Grenzen ereignen, ist keine Entschuldigung für Nichthandeln.“ In den folgenden zwei Jahren nistete sich zwischen dem sanften, auf Konsens der Streitparteien beruhenden Peace- keeping und der Friedenserzwingung nach Kap. VII der UNO-Charta ein robuster Zwitter ein. Extreme Verbrechen gegen die Menschenrechte und Chaos als Folge staatlichen Zerfalls gelten heute als legitime, wenngleich in der Grauzone des Völkerrechts angesiedelte Interventionsgründe – theoretisch.

Wenn Butros Ghali jetzt, in seinem Bericht an den Sicherheitsrat, Maßnahmen der Friedenserzwingung generell als nicht realisierbar verwirft, bezieht er sich auf den Widerspruch zwischen Einsicht und Praxis. Er klagt die großen Mächte der politischen Inkonsistenz an, da sie es nie über sich brachten, das präzise „Wie“ und „Wann“ von Zwangsmaßnahmen innerhalb von Friedensoperationen festzulegen. Für Ghali entlarvt schon die Zahlungspraxis der Mitgliedsländer den von ihnen vorgetragenen universalistischen Humanitäts- und Menschenrechtsanspruch als Phrase. Bereits in der Agenda hatte Ghali das Schwergewicht seiner Interventions-Vorschläge auf Konfliktvermeidung, das heißt auf die Frühphase zwischen- beziehungsweise innerstaatlicher Auseinandersetzungen gelegt. Aber solche Vermeidungs-Interventionen hätten gerade nach dem geschulten, vielfältig einsetzbaren Personal verlangt, das Ghali gefordert und das ihm bis jetzt verweigert wurde. Mit Recht sieht er das Ansehen der UNO durch die von Somalia bis Bosnien durchgängige Politik des Schwankens und der Ohnmacht gefährdet. Je weniger die UNO eine komplexe, auf Prophylaxe und Ursachenbekämpfung berechnete Strategie der Konfliktlösung entwickeln kann, desto mehr konzentrieren sich die Hoffnungen der Öffentlichkeit auf die massive, militärische Intervention. Sie ist, wie Alex de Waal geschrieben hat, „die große Wolke, die alles überschattet“. Bloß: Sie kommt nicht und ihr Fehlen verstärkt Frustration und Wut.

Es spricht für die Hartnäckigkeit Butros Ghalis, daß er in solch einem Augenblick am Kernpunkt der Agenda von 1992, einer permanenten, der UNO direkt zu unterstellenden Streitmacht von Peace-keepers festhält und vor den Interessen einzelner Staaten oder Staatengruppen nicht kapituliert. Gemessen am Scheitern der großen Militärallianz Nato in Jugoslawien ist diese Haltung realistisch. Christian Semler