■ Nach der Bauchlandung nordischer EU-KommissarInnen: Blamabel oder ehrlich?
Von Tuten und Blasen keine Ahnung. Das Urteil über die von den nordischen Regierungen als ihre VertreterInnen für die EU-Kommission Ausgewählten durch das EU-Parlament war vernichtend. Die Kritik so grundsätzlich, daß Jacques Santer seine neue Kommission für den gestrigen Montag zu einer Krisensitzung geladen hatte. Damit Parlament wie Kommission das Gesicht wahren können. Auch die Reaktion in Skandinavien war quer durch die Parteienlager und die Medien vernichtend: Ein von Minderwertigkeitskomplexen gebeuteltes EU-Parlament lasse seinen Frust über mangelnde Machtbefugnisse an den ungefährlichen Neulingen aus. Einen besseren Start hätte man sich schon vorstellen können. Für die neuen KommissarInnen. Aber auch für das Parlament.
Nicht diskutiert werden muß über sachliche Kritik. Über mangelnde Vorbereitung, Informationslücken oder, im Falle der Dänin Ritt Bjerregaard, über Anschauungen zur Umweltpolitik, die selbst in Kopenhagen überraschten, weil ihre Arroganz hier bekannt ist. Es war wohl eher ein Kulturschock. Denn was in Skandinavien in erster Linie irritiert, ist der Vorwurf der „Unsicherheit“. Hier dürfen PolitikerInnen auch einmal unsicher sein, zugeben, noch keine festgelegte Meinung zu haben. Vor allem, wenn sie neu in ein Amt kommen. Für die Mehrheit der EU-ParlamentarierInnen in den Befragungsgremien scheint dies auf Irritationen zu stoßen. Die KommissionskandidatInnen, die flotte, letztlich nicht verpflichtende Versprechungen auf Lager hatten, erhielten die guten Noten. Bei den Zweifelnden ging der Daumen nach unten. Könnte dies mit politischer Kultur zu tun haben? Besonders stromlinienförmig ist weder Ritt Bjerregaard noch Anita Gradin – und sie wollen es auch nicht sein. Und so voreilig auch manche skandinavischen PolitikerInnen mit leeren Versprechungen sein mögen – vom „kontinentalen“ Niveau ist man offenbar noch ein ganzes Stück entfernt. Daß skandinavische Vorsichtigkeit und Zurückhaltung weder mit Unwissenheit noch mit mangelndem Rückgrat zu tun hat, wird man in Brüssel noch lernen müssen.
„Ich habe nicht nur dem Parlament zu dienen.“ Was Anita Gradin so ganz direkt äußerte, mag dort gar nicht gut angekommen sein, aber es entspricht genau der undemokratischen Struktur der EU. Sollte man im Parlament darüber irritiert sein, daß der Satz über die Bedeutung der Kontrollfunktion des Parlaments über die Kommission fehlte, dann eher, weil dies für die nordischen KandidatInnen eine Selbstverständlichkeit ist. Das Parlament kann die Machtverteilung in der EU nicht dadurch ändern, daß es unrealistische Versprechungen von der Kommission erwartet. Es lügt sich damit nur in die eigene Tasche. Reinhard Wolff, Stockholm
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