: Wir brauchen keinen Caudillo
■ Dora Maria Tellez, sandinistische Reformerin und Chefin der Parlamentsfraktion, über Demokratisierung und Spaltung
taz: Sergio Ramirez hat vor wenigen Tagen die Gründung einer neuen Partei angekündigt.
Tellez: Er ist aus der FSLN ausgetreten und braucht eine neue Partei. Immer mehr FSLN-Mitglieder wollen eine neue politische Kraft aufbauen, die zu den politischen, ethischen und moralischen Prinzipien des Sandinismus zurückkehrt, von denen die offizielle Partei abgewichen ist.
Die „Demokratische Linke“ um Daniel Ortega wirft euch vor, der Diskussion ausgewichen zu sein. Ihr Reformisten habt ja an den Sitzungen der Nationalleitung gar nicht mehr teilgenommen.
Das stimmt nicht. Wir wollten innerhalb der Partei die Diskussion entfachen, noch vor dem außerordentlichen Parteitag vom vergangenen Mai, auf dem Kongreß und nachher in der Nationalleitung. Ich bin immer dabeigewesen, bis die Orthodoxen plötzlich den einstimmigen Beschluß brachen, ein Paket von Verfassungsreformen ins Parlament zu bringen. Damals sahen wir, daß wir dort nichts mehr verloren hatten. Die Orthodoxen hatten sich der Strukturen bemächtigt, und wir, also Henry Ruiz, Mirna Cunningham, Luis Carrión und ich, waren nur noch Dekoration.
Warum seid ihr auf dem Parteitag nicht offensiver aufgetreten?
Der Parteitag war nicht für echte Diskussionen angelegt. Die Orthodoxen schärften allen ein, daß die von den ihren abweichenden Positionen reaktionär seien. Und natürlich wollte dann keiner als Rechtsabweichler gelten. Was nach außen die „Einheit“ bewahrte, hat in Wirklichkeit die Spaltung gefördert.
Ihr Reformisten seid eine Handvoll Intellektueller. Wer ist eure Basis?
Die sandinistische Basis. Wir haben Guerillaveteranen, Bauern, Arbeiter, Handwerker, Hausfrauen, Akademiker, Kaufleute, Intellektuelle auf unserer Seite. Die meisten Anführer sind Intellektuelle. Schön. Aber bei der Demokratischen Linken ist es auch nicht anders. Daniel Ortega ist Intellektueller, Tomás Borge und Bayardo Arce sind Unternehmer. Schon als wir Somoza stürzten, wurde die Revolution von Intellektuellen angeführt. Das ist kein Geheimnis und keine Schande.
Aber gibt es jemanden, der es mit dem Charisma von Daniel Ortega aufnehmen kann?
Wir wollen es gar nicht mit Daniels Charisma aufnehmen. Eine politische Partei ist etwas anderes als ein Caudillo. Daniel hat viel zur Spaltung der FSLN beigetragen. Als Caudillo mag er Anhängerschaft haben. Aber wozu braucht der Sandinismus einen Caudillo?
In Nicaragua haben sich meistens Caudillos durchgesetzt...
Wir versuchen doch, das politische System umzukrempeln. Wenn wir Caudillos wollen, warum sollten wir uns dann um Verfassungsreformen bemühen?
Geht es zwischen Demokratischer Linker und Reformisten letzten Endes mehr um Fragen der Form oder um wirkliche Inhalte?
Es geht um Inhalte. Dazu gehören die Verfassungsreformen, die Demokratisierung des Staates und der Gesellschaft, die Stärkung der Institutionen... Die Orthodoxen sind offenbar nicht daran interessiert, Gruppen mit wirtschaftlicher Macht zu kontrollieren. Wir schon, weil diese Gruppen die Demokratisierung liquidieren. Auch was die Natur einer Partei betrifft, haben wir grundsätzliche Differenzen.
Die Orthodoxen werfen euch vor, mit den Verfassungsreformen die Agrarreform zu verraten.
Das ist reine Demagogie. Die Landreform ist voll abgesichert. Wir haben sogar der Regierung die verfassungsmäßige Verpflichtung auferlegt, dem reformierten Sektor technische Beratung zuteil werden zu lassen.
Was ist dann der Unterschied zwischen den Reformen, die vor einem Jahr einstimmig in der Sandinistischen Verfassung genehmigt wurden, und denen, die ihr gegen den Willen der Orthodoxen im Parlament beschlossen habt?
Außer der Stichwahl bei den Präsidentschaftswahlen und der Direktwahl der Bürgermeister handelt es sich nur um unwesentliche Details. Wir wollen die Reformen und suchen uns dafür Verbündete. Die Orthodoxen habe eine Allianz mit der Regierung und wollen die Reformen so verändern, daß diese Allianz hält. Das sind zwei unterschiedliche Ansätze. Interview: Ralf Leonhard
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