: Wenn General Sandino das wüßte
Die Sandinistische Front ist gespalten, die neuen Bündnisse sind kaum noch ideologisch zu erklären. Mit seltsamen Koalitionen startet Nicaraguas Linke in den nächsten Wahlkampf ■ Aus Managua Ralf Leonhard
In gut drei Wochen jährt sich zum fünften Mal die Wahlniederlage der nicaraguanischen Sandinisten – und wo es in Nicaragua langsam darangeht, Bündnisse und Kandidaten für die nächsten Wahlen Ende 1996 abzustecken, zeigt sich der Sandinismus chaotischer denn je. Was Sandinismus eigentlich ist, das hatten einigermaßen theoriesicher auch die ParteigängerInnen der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) nie so ganz erklären können, und so war Sandinismus jahrelang schlicht das, was die Parteiführung dafür erklärte – und Widerspruch regte sich kaum. Doch seit jüngstem ist die Partei gespalten, und beide Seiten halten sich für die eigentlichen Verfechter der sandinistischen Idee. So gibt es im Parlament inzwischen gleich zwei sandinistische Fraktionen. Die eine, bestehend aus zwei Frauen und fünf Männern, kann behaupten, die offizielle, vom Parteivorsitzenden Daniel Ortega vorgegebene Linie zu vertreten. Die andere mit ihren 32 Abgeordneten gehört zum Reformerflügel des inzwischen aus der Partei ausgetretenen Sergio Ramirez. Schon in den letzten Monaten hatten die beiden Gruppen unterschiedlich abgestimmt: besonders drastisch bei der Frage der Verfassungsreformen und der Wahl des neuen Parlamentspräsidiums.
Der Schwebezustand wird nicht lange anhalten. Längst hat der Reformerflügel beschlossen, eine eigene Partei zu gründen – Sergio Ramirez arbeitet bereits mit Volldampf an dem Projekt, das wahrscheinlich am 21. Februar, dem 61. Todestag General Sandinos, der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. Die Reformer hoffen, daß ein Viertel der sandinistischen Basis mitzieht.
Die Orthodoxen der „Demokratischen Linken“ um Daniel Ortega wollen den Klassenkampf fortsetzen und die Gewerkschaften gegen die unpopuläre Wirtschaftspolitik mobilisieren – gleichzeitig aber paktieren sie im Parlament mit der Regierung, die für eben diese Politik verantwortlich zeichnet. Und für den Boykott der Verfassungsreformen, die vor etwas mehr als einem Jahr noch von Ortega und der gesamten Führung abgesegnet worden waren, suchten sie sich so seltsame Bettgenossen wie die Liberal-Konstitutionalistische Partei des ultrarechten Bürgermeisters von Managua, Arnoldo Alemán. Eine Radiosendung gegen Alemán wurde über Nacht als politisch nicht mehr opportun aus dem parteieigenen „Radio Sandino“ gekippt.
Die Reformer hingegen setzen weniger auf Massenmobilisierung als auf die Stärkung der Institutionen. Deswegen sind sie auch an den Verfassungsreformen, die das Parlament und die Judikative gegenüber der Regierung aufwerten, viel stärker interessiert.
Eine inhaltliche Diskussion über die unterschiedlichen Konzepte hat nie stattgefunden. Weder auf dem außerordentlichen Parteitag noch danach in der Nationalleitung oder der Sandinistischen Versammlung. Vor allem die Orthodoxen führen die Auseinandersetzung mehr unter der Gürtellinie – der hysterische Vorwurf an Dora Maria Tellez, ein lesbisches Verhältnis mit der Tochter von Sergio Ramirez zu unterhalten, war da nur die Spitze. Die einstige Parteizeitung Barricada, die im Oktober durch eine große Säuberung auf Linie gebracht wurde und jetzt vom ehemaligen Innenminister Tomás Borge geleitet wird, zeichnet sich heute nicht durch ihr scharfes politisches Argument aus, sondern versucht mit Bikinimädchen auf der Titelseite und ausführlichen Berichten über die jüngsten Vergewaltigungen oder Skandalgeschichten über Faustkämpfe auf dem Straßenstrich dem reißerischen Nuevo Diario Konkurrenz zu machen.
Auf beiden Seiten gab es Leute, die eine Versöhnung für möglich hielten, und andere, die die offene Spaltung zu provozieren versuchten. Der ehemalige Revolutionskommandant und Planungsminister Henry Ruiz versuchte bis zuletzt den Dialog. Seine lange hinausgezögerte Parteinahme für die Reformisten machte er davon abhängig, daß die Bewegung mehr als ein Vehikel für die politischen Ambitionen des Sergio Ramirez sein würde.
Als einziger und unabhängig von den zerstrittenen Gruppen hat er mit einer Gruppe von sandinistischen Experten eine wirtschaftliche Strategie entworfen, die zur Plattform einer künftigen Regierung werden könnte. Die Auslandsschulden von über zehn Milliarden Dollar erklärt er für schlicht unbezahlbar. Wollte Nicaragua seinen Verpflichtungen nachkommen, müßte die Wirtschaft jährlich um 60 Prozent wachsen. Daher schlägt er vor, die Schulden über Verhandlungen und den Aufkauf von Schuldtiteln auf der Börse um 90 Prozent zu kürzen. Kredite und Beratung sollen vor allem den Klein- und Mittelbetrieben, die in Nicaragua das Rückgrat der Wirtschaft bilden, angeboten, die Eigentumsfrage durch eine politische Einigung endgültig geregelt werden. Ruiz war auf Einladung der Friedrich- Ebert-Stiftung in Europa unterwegs, um das Programm vorzustellen und Finanzierung aufzutreiben, als Sergio Ramirez mit seinem Parteiaustritt eine neue Situation schuf. Man darf gespannt sein, wie sich die Basis verhält, wenn am 21. Februar die neue Partei aus der Taufe gehoben wird. Das ist gleichzeitig der Tag, an dem General Humberto Ortega das Kommando der Armee niederlegt und in die Politik zurückkehrt. Schon halten ihn manche für das eigentliche Hirn der Ramirez-Gruppe.
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