Kommentar: Keine Zeit
■ Demokratische Prozeduren überrollt
Vorgezogene Neuwahlen möglichst schnell - das war ein genialer Schachzug des Bremer Bürgermeisters Wedemeier. Denn wenn alles sehr schnell gehen muß, entscheiden - oh Sachzwang - kleine Gremien. Ein paar Wochen vor der Wahl werden sich die Delegierten des SPD-Landesparteitages einen Streit über das Wahlprogramm kaum leisten wollen. Das, was der Landesvorstand nach einem kurzen Prozeß jetzt verabschiedet hat, gilt also. Die Parteibasis kann sich ans Plakatekleben und Zettelverteilen machen.
Die Beamten in den Behörden freuen sich: die ineffektive Wahlkampf-Phase, in der die politische Willensbildung „draußen“ stattfinden könnte und in den Behörden nichts entschieden wird, verkürzt sich auf ein paar Wochen. Nur der Stadtwerke-Verkauf soll noch im Mai über die Bühne gehen. Fragt sich, welche Mehrheit in der Bürgerschaft welches Modell beschließt, wenn es den Koaliti-onsausschuß der Ampel nicht mehr gibt: Rotgrün für 49 Prozent? Rot-Gelb-Schwarz für mehr als 70 Prozent? Die Sachzwänge des Finanzsenators werden den erforderlichen Druck schon schaffen. Für demokratische Willensbildung von unten ist einfach keine Zeit.
Bleibt die Frage, ob der Finanzsenator viel mehr artikuliert als die Sachzwänge der Sanierungsnotwendigkeit. Ob also der Wunschzettel der basisdemokratisch zustandegekommenen Wahlprogramme mehr erbracht hätte als einen Haufen Illusionen. Klaus Wolschner
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