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Bald fette Jahre?

Die spanische Regierung vermeldet den Aufschwung / Die Spanier merken davon wenig  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

Spaniens Regierungspräsident Felipe González scheint das Schlimmste hinter sich zu haben. Nach vier mageren Jahren setzt ein zaghafter wirtschaftlicher Aufschwung ein. In allen Bereichen schloß die spanische Wirtschaft das vergangene Jahr besser ab als erwartet: 4,3 Prozent Inflation und damit die niedrigste seit 25 Jahren, sieben Prozent Wachstum der Industrieproduktion – 1,6 Prozent mehr als der EU-Durchschnitt –, 26 Prozent mehr ausländische Investitionen und 150.000 neue Arbeitsplätze, so die Erfolgsstatistik, die González dem Parlament präsentierte.

Diesen Aufwärtstrend will man absichern. Oberstes Ziel: der Beitritt zur europäischen Währungsunion, die ab 1997 loslegen soll. In Sachen Inflation ist man allerdings weit von den 3,5 Prozent entfernt, die in Maastricht als eine der Startbedingungen festgelegt wurde. Allerdings legt sich die Zentralbank ins Zeug, um das Ziel doch noch zu erreichen. Vorübergehend hob sie die Zinsen auf acht Prozent an.

Zweites Staatsziel ist die Senkung des Haushaltsdefizits, ebenfalls eines der im Vertrag von Maastricht festgelegten Kriterien. Auch hier meldet die sozialistische Regierung Fortschritte: Das Defizit entspricht 6,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und liegt damit 0,8 Prozent unter dem Vorjahr. Doch leider fordert die EU ein Maximum von drei Prozent. Also muß der Staat sparen: vorwiegend im sozialen Bereich und erstmals auch im Militärhaushalt.

Auch mit dem Verkauf von Staatsbetrieben versucht die Regierung Gonzáles das Haushaltsloch zu stopfen. Zur Vorbereitung der Privatisierungen wurden allerdings erst mal Unsummen ausgegeben. Zehn öffentliche Unternehmen gaben zwischen 1991 und 1993 vier Milliarden Mark aus, um 42.000 Arbeitsplätze abzubauen. Wettbewerbsfähig machen, nennt dies Industrieminister Juan Eguiagaray.

RENFE, die staatliche Bahn, trug einen Viertel des Betrages davon. Sie soll in Einzelunternehmen aufgeteilt und dann am Aktienmarkt angeboten werden. Die Privatisierungspolitik führte immer wieder zu Streiks. Auch die Telefongesellschaft soll verkauft werden. Mit der Liberalisierung der Telekommunikation verspricht sich die sozialistische Regierung ein Branchenwachstum zwischen fünf und sechs Prozent, ähnlich wie in USA, Japan und Nordeuropa.

Doch ein Blick hinter die Kulissen zeigt, daß tief verwurzelte Schwächen der spanischen Wirtschaft noch nicht überwunden sind. Nach vier Krisenjahren hat Spaniens Produktion, dank der gestiegenen Auslandsnachfrage, erneut das Niveau von Anfang der 90er erreicht – allerdings mit wesentlich weniger Arbeitskräften. Allein im Krisenjahr 1993 büßte die Industrie 9,7 Prozent der Beschäftigten ein. Fast ein Viertel der spanischen Erwerbsbevölkerung hat keinen Job. Der Rückgang der Inlandsnachfrage ist da nur eine der Folgen. Industrieminister Eguiagaray hat große Pläne. Er will eine Debatte zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften über die Zukunft der Industrie anregen. Das wäre das Ende der zehnjährigen Laissez-faire-Politik. Denn was in den Zeiten der Hochkonjunktur funktionierte, bezahlte man mit zunehmender Krise teuer.

Spaniens Industrie ist von Klein- und Mittelunternehmen beherrscht. Von den 100 Großbetrieben, die auf den internationalen Märkten mitmischen, sind nur zwei in spanischem Besitz. Der Rest sind ausländische Konzerne, die die iberische Halbinsel als verlängerte Werkbank benutzen. Gerade in Krisenzeiten suchen sich diese Unternehmen allzu leicht billigere Produktionsstätten. Osteuropa bietet sich da an, wie das Beispiel der Automobilindustrie zeigt.

Als erster Schritt fordern Gewerkschaften und Unternehmer eine Aufstockung der staatlichen Forschungsgelder, die bislang in Spanien lächerlich niedrig sind. Auch dem Einzelhandel will man mit 1,2 Milliarden Mark, davon 0,2 Milliarden aus EU-Töpfen, unter die Arme greifen: Kredite und Subventionen zur Aus- und Weiterbildung und zur Existenzgründung für Jungunternehmer sowie für die Gründung von Handelskooperativen sollen den Sektor leistungsfähiger machen.

Einzig momentan stabiler Bereich ist die Tourismusbranche. Mit 64 Millionen Besuchern war 1994 ein Rekordjahr. Für 1995 erhofft sich die Wirtschaft durch den günstigen Peseta-Kurs ein weiteres Wachstum von vier Prozent. Daß allerdings gerade dieses Geschäft sehr konjunkturabhängig und deshalb als wirtschaftlicher Motor wenig geeignet ist, weiß man aus der Vergangenheit nur zu gut.

All diese Maßnahmen werden, so die Befürchtungen der Gewerkschaften, nur wenig zum Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen. Zwar spricht die Regierung offiziell von 16,5 Prozent Arbeitslosen. Doch in internationalen Quellen wird von fast 24 Prozent ausgegangen, was auch der Einschätzung der spanischen Gewerkschaften entspricht, die von über drei Millionen Arbeitslosen ausgehen. Von der wirtschaftlichen Erholung haben viele von ihnen nichts, vor allem die Jugendlichen und die Frauen, von denen zwei Drittel ohne Einkommen sind. Selbst wer Arbeit hat, verfügt oft nur über einen Zeitvertrag. Mit 32 Prozent solcher Verträge ist Spanien EU-Spitzenreiter. Dies ist ein Ergebnis der Liberalisierung des Arbeitsmarktes unter Gonzáles, genauso wie eine andere spanische Besonderheit: der Anlernvertrag mit halbem Lohn für Jugendliche unter 28 Jahren.

Die Bevölkerung ist gegenüber den Erfolgsmeldungen skeptisch, wie eine Umfrage der Stiftung für Sozial- und Wirtschaftsforschung zeigt: 54 Prozent der Spanier geben an, vom Aufschwung nichts zu spüren. 60 Prozent sind von einem erneuten Anstieg der Arbeitslosigkeit überzeugt und halten sich beim Konsum zurück.

Felipe González hat, darauf deutet alles hin, die politische Instabilität der letzten Wochen erst einmal überwunden. Jetzt gilt es, die strukturellen Schwächen anzugehen, will man einen Platz im vereinten Europa erringen. Eine Aufgabe, die nicht leicht wird für eine Regierung, die sich nach zwölf Jahren an der Macht stark verschlissen hat und dank ihrer neoliberalen Wirtschaftspolitik von den Gewerkschaften argwöhnischer denn je beobachtet wird.

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