: Seemann als Seefrau arbeitslos
■ Kapitänin nach Geschlechtsumwandlung ohne Job: Papiere verweigert
„Früher, als Mann, hatte ich überhaupt keine Probleme, eine feste Anstellung zu finden, aber heute als Frau wird man halb wahnsinnig.“ Rita Wilkens (45) aus Stade versteht die Welt nicht mehr. 23 Jahre ist sie zur See gefahren, davon 13 Jahre als Kapitän auf Küstenmotorschiffen. Damals hieß sie Reinhold Wilkens und führte ein zwiespältiges Leben: „Als Seemann ging ich in meinem Beruf auf, aber als Mann war ich total unglücklich.“ Im Mai 1993 unterzog Wilkens sich einer Geschlechtsumwandlung. Ein halbes Jahr später verlor sie ihren Arbeitsplatz, weil die Papiere nicht mehr stimmten. Inzwischen sind Patente und Pässe zwar geändert, doch einen neuen Job findet Kapitänin Rita Wilkens nicht.
Die Schuld für ihre ausweglose Lage gibt die 45jährige Staderin dem Amtsgericht der Kreisstadt. „Reine Schikane“ sei es gewesen, daß die Namens- und Personenstandsänderung durch das Gericht 14 Monate gedauert habe. „Das war ein Wettlauf mit der Zeit, den ich dann verloren habe“, sagt sie. Dabei hatte sie nach eigenen Worten gute Chancen, auch als Frau an Bord zu bleiben. Der Reeder hielt ihr sechs Monate, nachdem sie im schweizerischen Lausanne operiert worden war, den Platz in der Schiffsführung frei. Doch die Bürokratie machte ihr einen Strich durch die Rechnung: Mit Männerpapieren konnte die Kapitänin nicht mehr arbeiten, aber neue Papiere als Frau wurden ihr verweigert, weil die Gutachten fehlten.
Drei Expertisen, in denen die innere Überzeugung zur Geschlechtsumwandlung getestet worden war, wurden nicht anerkannt. Für die Betroffene wirkte das wie Hohn. Sie habe sich schon als Kind gewünscht, als Frau zu leben: „Ich fühlte mich wie eingesperrt, mein Geschlecht war mir fremd.“ Drei Jahre vor der Operation begann Wilkens, sich mit weiblichen Hormonen behandeln zu lassen. Nach dem geschlechtsverändernden Eingriff fingen Verwandte und Freunde an, sie zu meiden. Als ihre Anträge auf Namensänderung nicht zügig bearbeitet wurden und die Entlassung folgte, habe sie das als doppelte Strafe empfunden, erklärt Rita Wilkens. „Mit etwas gutem Willen der amtlichen Stellen wäre ich heute nicht da, wo ich bin.“
Doch das Stader Amtsgericht verlangte neue Gutachten, aus denen die Notwendigkeit einer Mann-zu-Frau-Umwandlung eindeutiger hervorgehe. Nach dem Gesetz müssen zwei unabhängige Experten eingeschaltet werden, betont Gerichtssprecher Joachim Ganzemüller. Es sei sehr schwierig, qualifizierte Gutachter zu finden. Die Kritik von Wilkens am langen Verfahren weist er zurück. „Derartige Fälle sind sehr zeitaufwendig. Wir haben uns in Stade nicht länger Zeit gelassen als anderswo.“
Ihren Wunsch, wieder zur See fahren zu können, hat Rita Wilkens fast aufgegeben. Auf ihre mehr als 60 Bewerbungen kamen nur Absagen. Dabei wäre sie auch mit einer Landstellung bei einer Reederei oder Hafenverwaltung schon zufrieden. „Doch selbst dort habe ich als Frau auf einmal keine Chance mehr“, stellt sie resignierend fest. Auch das Arbeitsamt konnte ihr nicht helfen. Ihre letzte Hoffnung ist die Selbständigkeit. Um ein Schiff selbst zu bereedern, benötigt sie aber Teilhaber.
Für Kapitäne sei es generell schwierig, einen adäquaten Job an Land zu finden, meint Peter Watzl, Sprecher des Arbeitsamtes Stade. In anderen Branchen hätten Ex-Transsexuelle durchaus wieder Fuß fassen können. Der weibliche Kapitän habe es schon in der Männergesellschaft an Bord sehr schwer, in den Schiffahrtsbetrieben an Land sei es kaum einfacher. „Ich merke erst jetzt, wie man als Frau diskriminiert wird“, resümiert Rita Wilkens. Doch trotz aller Nachteile habe sie ihren Entschluß nie bereut. Sie bedauere nur, daß sie sich nicht früher operieren ließ: „Ich fühle mich jetzt wie befreit und genieße das Frausein jeden Tag.“
Jörn Freyenhagen, dpa
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