: Von Münsteraner Busfahrerinnen und anderem Lokalkolorit Von Klaudia Brunst
Meine Freundin hat es zuerst entdeckt. Weil sie neuerdings immer die Abendrunde mit dem Hund machen muß. Weil ich die Wette gewonnen habe, daß Helga Beimer in die Ehe mit Herrn Schiller einwilligen wird. Und so muß sie also jetzt abends noch raus, und ich lese in der Zeit weiter heimlich die Presserundbriefe von der „Lindenstraße“. Eines Abends also kam sie wieder nach oben und meinte, auf unserer Straße habe eine Lesbenkneipe aufgemacht. Und zwar in dieser alten Säuferdestille „Kreuzberg Mitte“, um die wir bisher immer einen besonders großen Bogen gemacht hatten.
Ich dachte natürlich, sie wollte mich verarschen, damit ich nun wieder abends mit dem Hund ... Aber meine Freundin schnippte lapidar: „Denk doch, was du willst!“ Und dann noch: „Jedenfalls sind da immer nur Frauen drin und die umarmen sich auch!“ Irgendwie ließ mich die Sache dann wirklich nicht mehr los, weshalb unser Hund nun gelegentlich in den Genuß kam, abends mit uns beiden um den Block zu spazieren. Unsere diskreten Observationen deuteten tatsächlich allesamt auf homosexuelle Umtriebe, wenn auch gelegentlich Männer reindurften, die sich dann aber eben mit niemandem umarmten.
„Is' doch klasse!“ meinte unsere Nachbarin begeistert, als wir ihr von unserer Recherche berichteten. „Ein echter Busfahrerinnensub! Auf unserer Straße! Das ist doch total schau! Da müssen wir unbedingt mal hin!“ Das hatten wir uns natürlich auch schon mal gedacht, aber irgendwie hatten wir auch Hemmungen. „Immerhin wohnen wir doch hier“, meinte meine Freundin, „da hat man doch einen Ruf als Szenelesbe zu verlieren, und Busfahrerinnen sind wir schließlich auch nicht.“ Aber so ganz allein traute sich unsere Nachbarin natürlich auch nicht in die Höhle der Löwinnen.
Also zottelten wir nun abends immer zu dritt die Straße auf und ab, bis der Hund sich irgendwann lauthals beschwerte, daß er jetzt immer am gleichen Baum sein Geschäft machen mußte. Da faßte unsere Nachbarin einen folgenschweren Plan. Für das kommende Wochenende hatte ihr die lesbische Mitwohnzentrale „Beischlaf“ einen Übernachtungsgast aus Münster angekündigt. Und „wo diese Provinzhüpfer doch sowieso alle wie Busfahrerinnen“ aussähen und man so einer Auswärtigen schließlich die Stadt zeigen müsse, sei eine Stippvisite im „Kreuzberg Mitte“ dann eben überhaupt nicht mehr ehrenrührig. Selbst wenn wir uns am Ende doch geirrt hätten und sich das Ganze nur wieder als Berliner Säuferdestille herausstellen sollte. „Dann verkaufen wir der das eben als Lokalkolorit“, meinte unsere Nachbarin und notierte den Termin in ihrem Filofax.
Am letzten Samstag war es dann endlich soweit: Mit Biggi aus Münster (die tatsächlich aussah wie eine junge Busfahrerin, in Wirklichkeit aber bei der Münsteraner Stadtverwaltung arbeitet) und einem Stapel Doppelkopfkarten betraten wir möglichst unauffällig das ominöse Lokal. „Kiek mal, Hertha!“ brüllte die Wirtin quer durch den Raum ihrer Kellnerin zu, „nu hamse sich endlich rinjetraut, die jungen Dinger mittem Hund!“ Und dann etwas gedämpfter: „Ihr seid'n bißchen spät dran. Die Coming-out-Gruppe tagt nämlich immer schon um Viertel acht. Im Hinterzimmer, erste Tür rechts. Die warten schon auf euch!“
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