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Ich bin eine Gruppe

■ Die ganzheitliche Wahrnehmung des Günther Kahrs / im „Büro für Lebensfreude - KGB hoch 3“ hängt alles mit allem zusammen

Wenn ich mir widerspreche, nun denn, dann widerspreche ich mir eben, denn ich beinhalte die Unendlichkeit, befand Walt Whitmann vor rund 150 Jahren. Der geniale amerikanische Poet wurde fortan von den Menschen gemieden, zog sich in die Natur zurück und mied selbst die Menschen. Wer kann diesem verstiegenen Kunst- und Lebensanspruch schon gerecht werden?

Im Ostertorsteinweg lebt Günther Kahrs die exzentrischen Gesänge eines Walt Whitmann oder seiner Nachfahren in der Beat Generation weiter. Bloß nicht Philosophie schreiben, denn „jede Philosophie ist Herrschaft“ sagt Kahrs. Dem menschlichen Mr. Propper mit dem Meister des strahlenden Glanzes auf unzähligen T-Shirts widerstreben philosophische Festlegungen: Sie engen ihn ein. „Alle Philosophien sind gleichberechtigt, wir brauchen nicht die eine Ordnung“, sagt Kahrs.

Undogmatische Unordnung betreibt Günther Kahrs seit dem 18. Dezember 1991 in seinem „Büro für Lebensfreude – KGB hoch 3“ im Ostertorsteinweg. Einen Tag vor jenem folgenschweren Entschluß war er aus Berlin nach Bremen zurückgekommen. Kahrs nervte die „Doppelmoral der Öko-68er-Viertelbewohner, die mit ihrer Birkenstock-Mentalität alles zertreten.“ DDR und UdSSR hatten sich gerade aufgelöst und „ich wollte wieder gut machen, was der KGB schlecht gemacht hat“. Ein Brief an Boris Jelzin blieb unbeantwortet.

Aus seinem Büro heraus versorgt Kahrs bedachte und unbedachte BewohnerInnen des Viertels mit der wirklich einseitigen, aber beidseitig bedruckten Zeitung „Weserspucker“. Ignoranten behaupten, es sei die „DIN á 4 Kopie einer Collage“. Kahrs darf seine satirischen Texte daher seit Januar 1994 nicht mehr über die Pressefächer im Rathaus verteilen. „Aber das macht nichts, denn wir machen die Zeitung ja weiter“. Vielleicht ist er auch glücklich darüber, daß seine anarchistischen Kommentare im Rathaus unerwünscht sind. „Wenn einer ein Problem mit uns hat, ist es gut“. Derjenige habe dann etwas zu tun, weiß worüber er sich ärgern kann.

Im Weserspucker verbreitet Kahrs politische Kurztexte. Vor vielen Jahren war er selbst in der Politik, reiste als Landesvorstands-sprecher der Bremer Grünen in Europa umher und hielt Vorträge. „Mein Leben ist meine Message“, sagt Kahrs und hält von anderen Formen der politischen Arbeit heute nichts mehr.

Außerdem seien PolitikerInnen alle süchtig und damit will Kaffeetrinker Kahrs auch nichts zu tun haben. „Was heißt hier Kampf gegen das organisierte Verbrechen? Die wichtigsten Täter sind doch alle bekannt. Man braucht sie bloß zu wählen“, schreibt Kahrs in einem „Mali“, eben jener einseitigen Schwarz-weiß-Zeitung zum Anmalen. Die manchmal dadaistisch anmutenden Wortfetzen sind für Kahrs würdige Vertreter des großen Ganzen, buddhistisch betrachtet gehöre alles zusammen. Nur Geld verdient er mit dem Weserspucker nicht. Aber auch das stört den Erben des KGB nicht. „Ich bin Millionär, ich habe alles“.

Ulrike Fokken

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