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„Umverteilung muß Thema werden“

■ Der Berliner Politologe Peter Grottian über Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst und Arbeitszeitverkürzung

taz: Die ÖTV fordert sechs Prozent mehr Lohn. Arbeitszeitverkürzung ist kein Thema in der neuen Tarifrunde. Ist das zeitgemäß angesichts des laufenden Personalabbaus?

Peter Grottian: Daß Arbeitszeitverkürzung, die Frage von Lohndifferenzierung und die Frage von neuen Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst gegenwärtig kein Thema sind, ist ein Rückfall hinter die Diskussion der 70er/80er Jahre. Ein Rückfall, weil angesichts von fünf Millionen Erwerbslosen der öffentliche Dienst eine andere Verantwortlichkeit hat als andere Tarifbereiche und auch die politischen Steuerungsmöglichkeiten zumindest theoretisch hier höher sind.

Die Arbeitgeber aber sparen frei werdende Stellen möglichst ein. Auch die Beschäftigten wollen keine neuerlichen Einkommenseinbußen hinnehmen. Statt dessen machen sich die Tarifparteien für die freiwillige Teilzeitarbeit stark.

Alle Hoffnungen, die die Regierung und die Opposition mit Teilzeit verbinden, sind bei weitem übertrieben. Die Teilzeitmöglichkeiten bei den Wohlfahrtsverbänden, den Kirchen, im öffentlichen Dienst sind schon jetzt relativ gut. Das Hauptproblem ist ein anderes: Diejenigen, die schlechte und nicht sehr gut bezahlte Tätigkeiten haben, können sich Teilzeit nicht leisten, und diejenigen, die gut bezahlte Tätigkeiten haben, wollen sich Teilzeit nicht leisten.

Von oben verordnete Teilzeit wird aber nur dann akzeptiert, wenn, wie im Osten, wirklich die Entlassung beispielsweise von Hunderten von Kita-Erzieherinnen droht. Im Westen aber gibt es im öffentlichen Dienst noch keine betriebsbedingten Kündigungen.

Die Kernfrage ist doch: Sind die Beschäftigten im oberen Verdienstbereich bereit, Einkommenseinbußen hinzunehmen, wenn sie wissen, daß damit Beschäftigung geschaffen wird. Eine moderate Forderung könnte sein, daß die oberen Lohngruppen bei verringerter Arbeitszeit fünf Prozent weniger Einkommen kriegen. Die Oberstudienräte, Staatsanwälte, Hochschullehrer verdienen doch sehr, sehr gutes Geld. Der mittlere Dienst bekäme 2,5 Prozent weniger, und die unteren Lohngruppen würden ausgeglichen. Das Umverteilungspotential wären ungefähr acht bis zehn Milliarden Mark.

Eine solche Utopie wagen gegenwärtig weder politische Entscheidungsträger noch Tarifparteien öffentlich zu erörtern. Warum sind Fragen der Einkommens- und Arbeitsumverteilung aus der Diskussion verschwunden?

Die Debatte um Arbeitsumverteilung ist verschwunden, weil sich viele daran gewöhnt haben, daß von den Tarifparteien eben nur Arbeitsplatzbesitzer bedient werden. Hier gibt es eine strukturelle Komplizenschaft der Tarifparteien, aber auch der Individuen. Männer zum Beispiel sind an Teilzeit wenig interessiert. Interview: Barbara Dribbusch

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