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Kirchenasyl für bosnisch-kroatische Flüchtlinge

■ Schwedische Regierung droht mit Ausweisung / Bislang größte Kirchenbesetzung im Land / Pfarrer appellieren an die Bevölkerung: Versteckt bosnische Flüchtlinge

Stockholm (taz) – „Ich schäme mich, Schwede zu sein“, sagten viele derjenigen, die am Mittwoch morgen vollgepackt mit Lebensmitteln, Kleidung und Decken die Treppe der „Deutschen Kirche“ in Karlskrona hochstiegen. Mit ihren Spenden unterstützen sie die bislang größte Massenbesetzung einer schwedischen Kirche: Über 100 bosnische Flüchtlinge hatten in der Nacht zum Dienstag die Kirche der südschwedischen Stadt besetzt, als sich im örtlichen Flüchtlingslager das Gerücht herumsprach, am folgenden Tag würden Ausweisungsbeschlüsse verteilt.

Schwedens Regierung hat nämlich beschlossen, alle bosnischen Flüchtlinge, die im Besitz eines kroatischen Passes sind, nach Kroatien auszuweisen. Flüchtlingsminister Leif Blomberg beruft sich zwar auf eine schriftliche Garantie der Regierung in Zagreb, daß die abgeschobenen Flüchtlinge in Kroatien bleiben können. Das ist so sicher nicht: Erst am Dienstag erklärte der zuständige kroatische Minister, seine Regierung wolle bis Jahresende 60.000 bosnische Flüchtlinge zurückschicken. Und mit staatlicher Hilfe könnten die aus Schweden Ausgewiesenen auch nicht rechnen: Weder mit einem Dach über dem Kopf noch mit Essen werde man ihnen helfen. Sie müßten sehen, „daß sie selbst klarkommen“, sagte er.

Der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete und Rechtsanwalt Hans Göran Franck protestierte heftig gegen den Beschluß seiner Regierung. Diese will nämlich auch Kriegsdienstverweigerer zurückschicken, die nunmehr Gefahr laufen, nicht nur neues Kanonenfutter zu werden, sondern auch noch wegen Fahnenflucht bestraft zu werden: „Das ist nicht nur gegen jede Logik, sondern ein klarer Bruch internationalen Rechts“, sagt er.

Dabei müßte es Schweden mit der Ausweisung gar nicht eilig haben: Die Anzahl der Asylsuchenden hat sich mit 18.000 im letzten Jahr gegenüber 1993 mehr als halbiert. Und gerade für Bosnier gibt es kaum Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung. Im Gegenteil: Die Behandlung der Bürgerkriegsflüchtlinge durch die sozialdemokratische Regierung ist auf breites Unverständnis gestoßen.

Die Kirchenbesetzung von Karlskrona verspricht deshalb nur ein Anfang zu werden. Mehrere Kirchengemeinden haben bereits die Bereitschaft geäußert, ihre Türen zu öffnen; in Stockholm und Göteborg haben einige Gemeinden sogar schon Vorbereitungen für eine Unterbringung getroffen. Gestern forderten mehrere PfarrerInnen die SchwedInnen öffentlich dazu auf, Flüchtlinge zu verstecken.

Einwandererminister Leif Blomberg versteht die Welt nicht mehr: Mit welchem Recht rufen die Kirchen zum Gesetzesbruch auf? fragt er. Stefan Löfkvist, Pfarrer der besetzten Kirche in Karlskrona: „Ich würde mich als Gesetzesbrecher sehen, würde ich die Türen nicht öffnen.“ Reinhard Wolff

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