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Die Braunkohlen-Connection

Wie das diskrete Zusammenspiel zwischen Energiewirtschaft und Politik bei der Genehmigung des Tagebaus Garzweiler II funktioniert  ■ Von Johannes Nitschmann

Die spontane Demonstration der Braunkohle-Kumpel vor dem Düsseldorfer Landtag ist von langer Hand vorbereitet. Mit firmeneigenen Bussen werden die rund 200 Bergleute vor das Landesparlament chauffiert, um während ihrer Arbeitszeit für den umstrittenen Großtagebau Garzweiler II „Flagge zu zeigen“. Die Demonstranten sind mit Flugblättern und Transparenten aus der PR-Abteilung ihres Unternehmens ausgerüstet. Selbst das Redemanuskript des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Manfred Dickmeis enthält die vorgestanzten Vokabeln der firmeneigenen Pressestelle. Bei der Kumpel-Demo führt die Unternehmensleitung von Rheinbraun mit straffer Hand Regie.

Ungelenk quält sich der tapfere Betriebsrat vor den führenden Landespolitikern durch den ihm erkennbar fremden Text. Mit etlichen Versprechern. „Ich kann Ihnen heute selbstbewußt sagen“, verkündet er mit zittriger Stimme, „daß eine ganze Region darauf setzt, daß der Braunkohlenbergbau auch weiter einen nützlichen Beitrag zur Energieversorgung und zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz Zehntausender Menschen leisten kann.“ In Wahrheit ist die Region in dem Städtedreieck zwischen Köln, Mönchengladbach und Aachen über den 48 Quadratkilometer großen Tagebau tief gespalten – in leidenschaftliche Befürworter und erbitterte Gegner. Rund 19.000 Einwendungen aus der Bevölkerung des geplanten Abbaugebietes lagen dem Kölner Regierungspräsidenten vor. Die Einwender bezweifeln die energiepolitische Notwendigkeit dieses gigantischen Jahrhundertprojekts ebenso wie dessen ökologische und soziale Verträglichkeit.

Doch dies verschweigt Betriebsratschef Dickmeis wohlwissend in seiner Rede, zu der sich im SPD- Fraktionssaal die große Braunkohlen-Koalition des Landtags mit den beiden Fraktionschefs Friedhelm Farthmann (SPD) und Helmut Linssen (CDU) an der Spitze versammelt hat. Unisono bekunden Farthmann und Linssen vor den Kumpel, sie brauchten sich über die Genehmigung von Garzweiler II keine Sorgen zu machen: „Es geht nur noch um das Wie, nicht mehr um das Ob.“

Das war vor einem Jahr. Farthmann und seine Genossen in der SPD-Landesregierung haben Wort gehalten. Die Genehmigung für Garzweiler II ist auf den Weg gebracht. Den formellen Genehmigungsbescheid für den Aufschluß des Tagebaus wird das Landeskabinett heute erteilen. Eigentlich sei „alles fair und ordentlich gelaufen, jedenfalls bei den beiden großen Parteien“, freute sich Rheinbraun-Betriebsratschef Dickmeis vor wenigen Wochen bei einem erneuten Landtagsbesuch und überreichte SPD-Fraktionschef Farthmann dankbar einen Karnevalsorden mit dem Motto: „Mir jonn zesamme, mir stonn zesamme.“ Auf gut deutsch: Eine Hand wäscht die andere.

Auf die Braunkohlen-Connection ist Verlaß. Der enge Schulterschluß zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Schwarzen und Roten im rheinischen Revier hat Tradition. Noch nie ist ein Tagebauvorhaben der potenten RWE- Tochter Rheinbraun abgelehnt worden. Ihre Planvorgaben werden von der Politik zumeist als gottgegeben akzeptiert. Die Zwangsumsiedlung von über 30.000 Menschen wurde seit 1949 geräuschlos sanktioniert. Bei einem Aufschluß von Garzweiler II würden weitere 7.600 Menschen Haus, Hof und Heimat verlieren. Zudem ist mit der Realisierung dieses Megaprojekts der vielleicht folgenreichste ökologische Eingriff in den bundesdeutschen Naturhaushalt verbunden, der dramatische Grundwasserabsenkungen bis hinein in die Niederlande befürchten läßt.

Die bis zum Jahre 2080 reichenden Plandaten für das Projekt Garzweiler II, das vom Antragsteller gerne verniedlichend als „Anschlußtagebau“ bezeichnet wird, muten futuristisch an: Mit dem Aufschluß im Jahr 2006 sollen über vier Jahrzehnte pro anno zwischen 35 und 45 Millionen Tonnen Braunkohle abgebaggert werden (bei einem geschätzten Lagervorrat von 1,3 Milliarden Tonnen). Da der Abraum für eine vollständige Verfüllung des Tagebaus nicht ausreicht, muß das größte Loch Europas von 2.300 Hektar Größe und 180 Meter Tiefe mit etwa zwei Milliarden Kubikmeter Wasser verfüllt werden. Über eine Pipeline sollen diesem weltweit bislang einmaligen Kunstsee pro Jahr 60 Millionen Kubikmeter Rheinwasser zugeführt werden.

Über allzu große Widerstände in der Politik muß sich Rheinbraun nicht sorgen. Das Unternehmen, das zuletzt mit knapp 15.000 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von 3,18 Milliarden Mark machte, hat durch eine intensive Pflege der politischen Landschaft über Jahrzehnte in den beiden großen Parteien, aber auch in Ministerien, Behörden, Gewerkschaften und wichtigen Verbänden ein dichtes Netzwerk geknüpft. Vieles läuft dort nach der rheinischen Losung: „Mer kenne uns, mer helfe uns“, die einst Rheinbraun-Aufsichtsrat Bernhard Worms, zugleich langjähriger CDU-Oppositionsführer im Landtag, ausgegeben hatte.

Nicht zufällig residiert die Zentrale des weltweit größten Braunkohlenkonzerns am Kölner Stüttgenweg in der Hauptstadt des Klüngels. Es sei „eine gute Tradition“ des Hauses, erläutert Rheinbraun-Sprecher Reiner Hochscheid, „Interessensidentitäten zu definieren“. Eine vornehme Umschreibung für Klüngeln. „Die politische Kontaktpflege ist nicht nur legal“, betont Hochscheid, „sie ist auch legitim und in unserem System selbstverständlich.“

Wie selbstverständlich stehen einflußreiche Landes- und Kommunalpolitiker auf der Payroll des Unternehmens. Zuletzt noch heuerte der CDU-Politiker Hermann- Josef Arentz, 42, Landtagsabgeordneter aus Köln und Vizechef der Bundessozialausschüsse, bei Rheinbraun an. Der von der CDU- Bundesgeschäftsstelle nach der Mandatsübernahme beurlaubte Abteilungsleiter bessert in der Sozialabteilung des Unternehmens seine kargen Landtagsdiäten auf. Ein Rheinbraun- Insider: „Dieser Job stand gewiß nicht in den Stellenanzeigen. Da war viel Vitamin B im Spiel.“

Die Aufsichtsratsmandate in dem montanmitbestimmten Unternehmen sind auf der Kapital- wie der auf der Arbeitnehmerbank parteipolitisch zwischen CDU und SPD fein austariert. Ende der achtziger Jahre machten sich rheinische Politiker gegenseitig Vorhaltungen, sie ließen sich in ihren Wahlkämpfen von Rheinbraun aushalten. Nicht eine Mark, so beteuert der Rheinbraun-Vorstand, sei jemals aus der Unternehmenskasse in eine Politikertasche gewandert. Dies klingt beruhigend, ist nach Einschätzung von Firmeninsidern aber wenig glaubhaft.

Eine typische Rheinbraun-Karriere hat der Bergheimer SPD-Politiker Bernd Poulheim, 62, gemacht. Vom Lehrling avancierte der biedere Sozi und Gewerkschaftsfunktionär bei dem Braunkohleunternehmen zum Betriebsratsvorsitzenden. Zugleich setzte sich der Lokalpolitiker, der bis zu seiner Pension von drei Jahren im Sold von Rheinbraun stand, als Bürgermeister und Landtagsabgeordneter durch. Im Düsseldorfer Landesparlament vertritt er seit 15 Jahren stramm die Interessen der Braunkohle: „Ich bin Braunköhler“, bekennt sich Poulheim zu seiner politischen Mission, „ich bin von meinen Kumpels in den Landtag gewählt worden und vertrete da, was ich für richtig halte.“ Seinen Lobbyismus für den früheren Arbeitgeber Rheinbraun findet der Sozialdemokrat nicht anrüchig. Schließlich spreche im Landtag auch „jeder Lehrer zur Bildungspolitik“.

Auf vielen Schultern muß der CDU-Landtagsabgeordnete Werner Stump, 51, aus der Braunkohlestadt Kerpen tragen. Als CDU- Fraktionsvorsitzender im Braunkohlenausschuß (BKA) war er maßgeblich am Aufstellungsbeschluß für den Braunkohlenplan zu Garzweiler II beteiligt. Als Vorsitzender des Umweltausschusses im Landtag mußte Stump über diesen von ihm bereits positiv beschiedenen Braunkohlenplan „ins Benehmen gesetzt“ werden. Doch der Braunkohle- Klüngel geht noch weiter. Stump sitzt auch im Beirat der Westdeutschen Landesbank (WestLB), die wiederum einflußreicher Aktionär bei der Rheinbraun-Mutter RWE ist.

Die Grünen werfen dem gewieften CDU-Politiker vor, er habe für seine Zustimmung zu Garzweiler II vom Stromriesen RWE indirekt Wahlkampfhilfe erhalten. Stump, so der Grünen-Abgeordnete Gerd Mai, habe sich vor der entscheidenden Abstimmung im Braunkohlenausschuß vom RWE schriftlich in einer Protokollnotiz zusichern lassen, daß eines der neuen Kohlekraftwerke in Hürth-Berrenrath gebaut wird – mitten in seinem Landtagswahlkreis. Auch der nach der jüngsten Kommunalwahl aus dem BKA ausgeschiedene FDP-Politiker Jürgen Endemann glaubt, daß „der Kollege Stump sicherlich nicht ohne politische Belohnung aus dem Geschäft herausgehen wird“. Aber nach Einschätzung von Endemann hat nicht nur der Multifunktionär Stump („Ich bin absolut frei“) versucht, „bei einer positiven Entscheidung für Garzweiler II auch gleich einen ganz persönlichen Beutefeldzug für seinen Wahlkreis oder seine politische Umgebung zu machen“.

Nach Angaben von Rheinbraun stehen derzeit etwa 80 kommunale Mandatsträger auf der Gehaltsliste des Unternehmens, in Hochzeiten waren es zwischen 120 und 140. Firmensprecher Hochscheid kann dabei nichts finden: „Rheinbraun ist Teil des öffentlichen Lebens.“ Bei regelmäßigen Treffen werden die Stadt- und Gemeinderäte auf die Unternehmensziele eingeschworen. Da ist es kein Zufall, daß während des öffentlichen Erörterungsverfahrens zu dem heiklen Tagebauvorhaben Mitte März vergangenen Jahres in beinahe sämtlichen Kommunalparlamenten rund um das rheinische Braunkohlenrevier weitgehend gleichlautende Resolutionen für den Aufschluß von Garzweiler II eingebracht wurden.

Rheinbraun kümmert sich aber keineswegs nur um Politiker und Parteien. Das Unternehmen fördert Sportvereine, Kunst, Kultur, Musik, Kindergärten und Dorffeste. Ohne großes Aufsehen, aber ungemein wirksam. „Wenn man eine Not hat“, weiß der FDP-Kommunalpolitiker Endemann, „wendet man sich an Rheinbraun, und Rheinbraun pflegt in der Regel zu helfen.“ Dies schaffe im rheinischen Braunkohlenrevier „eine gewisse positive Stimmung und läßt erst gar keine rebellischen Grundtöne aufkommen“.

Die geltenden Gesetze machen es der Braunkohlen-Connection denkbar einfach. Trotz etlicher Novellierungen gilt das Braunkohlenplanverfahren in Nordrhein- Westfalen als vordemokratisch; Mauscheleien zwischen dem Bergbautreibenden und der Politik sind da Tür und Tor geöffnet. Nicht das Landesparlament entscheidet über die Aufstellung eines Braunkohlenplans, sondern ein aus Provinzpolitikern und Verbandsvertretern seltsam zusammengesetzter Braunkohlenausschuß (BKA). Das letzte Wort über den Aufschluß von Garzweiler II hat alleine die SPD-Landesregierung, die sich lediglich mit dem Umweltausschuß des Landtags „ins Benehmen setzen“ muß. Zu entscheiden haben die gewählten Parlamentarier freilich nichts. Die reichlich antiquierte Gesetzgebung stammt im Kern aus dem Jahre 1949, als die Landespolitiker in ihrer wirtschaftlichen Aufbruchstimmung quasi eine „Lex Rheinbraun“ verabschiedeten.

Die demokratische Legitimation des 41köpfigen Braunkohlenausschusses, dessen Auslandsreisen nach den Recherchen des grünen Landtagsabgeordneten Gerd Mai generös von der Firma Rheinbraun bezahlt werden, ist dennoch weiterhin heftig umstritten. Die Grünen wollen deshalb vor dem Verfassungsgerichtshof in Münster eine Organklage anstrengen, um die Genehmigung für Garzweiler II juristisch zu Fall zu bringen. Darüber hinaus haben die Kreise, Städte und Gemeinden, deren Ortsteile von den riesigen Schaufelradbaggern abgeräumt werden sollen, damit gedroht, wegen „grober Rechtsverstöße“ im Genehmigungsverfahren vor das Verwaltungsgericht zu ziehen.

Um den Umweltschützern und Grünen den Wind aus den Segeln zu nehmen, haben der Energie- Multi RWE und die SPD-Landesregierung wenige Monate vor der Landtagswahl am 14. Mai einen PR-trächtigen Deal verabredet: das mit einer Größenordnung von rund 20 Milliarden Mark „bislang größte ökologische Investitionsprogramm in der Bundesrepublik“, wie die Regierung Rau stolz verkündete. Zur CO2-Minderung soll der gesamte Kraftwerkspark im rheinischen Braunkohlenrevier in den nächsten Jahrzehnten Zug um Zug mit einer modernen Technik umgerüstet werden, die den Wirkungsgrad der Braunkohle um etwa 27 Prozent erhöhen soll. Nur wenige Tage nach dieser spektakulären Ankündigung kam heraus, daß es trotz des Modernisierungsprogramms unter dem Strich zu gar keiner CO2-Reduzierung kommt, weil die Verbesserung des Wirkungsgrades durch eine deutlich erhöhte Braunkohleverstromung in den kommenden 20 Jahren mindestens kompensiert wird. Dies freilich hatte die SPD-Landesregierung in ihren Mitteilungen dreist verschwiegen.

Hagen Tschoeltsch, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP- Fraktion, kam der Regierung Rau schnell auf die Schliche und enttarnte die schlagzeilenträchtige Übereinkunft mit RWE als einen „typischen Vertrag zu Lasten Dritter“. Laut Tschoeltsch funktioniert die „Mogelpackung“ ausgesprochen simpel: Das RWE investiere in eine neue Kraftwerkstechnologie, erhalte im Gegenzug eine amtliche Abbaugenehmigung für Garzweiler II, die Landesregierung verkaufe sich als Umweltschützer, und der Bürger bezahle letztlich die 20 Milliarden Mark über den Strompreis, der wiederum vom Düsseldorfer Wirtschaftsministerium genehmigt werde. „Wenn das kein Deal im wahrsten Sinne des Wortes ist“, rief der FDP-Politiker den verdutzten Genossen im Landtag zu, „dann weiß ich es nicht.“

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