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Staatsflieger werden zahm

Fast alle nationalen Fluggesellschaften Europas sind in der Krise. Geld verdient nur die private Konkurrenz, die EU bekämpft Subventionen  ■ Von Rainer Wandler

Madrid (taz) – Nach der Mutter die Tochter. Spaniens Inlandsfluggesellschaft Aviaco steckt in der Krise. Wie bereits letztes Jahr beim Stammhaus Iberia muß schleunigst ein Sanierungsplan her. 8,5 Prozent weniger Lohn und 15 Prozent weniger Stellen sollen umgerechnet sechs Millionen Mark einsparen, so lauten die Vorschläge, mit denen die Geschäftsleitung in die Verhandlungen mit den Gewerkschaften geht. Schon sind Streiks angedroht worden.

Billiganbieter wie „Halcon“ und „Euralair“ machen sich auf den spanischen Urlaubslinien Konkurrenz. Selbst auf der einzig gewinnbringenden Strecke, der im Stundentakt bedienten Luftbrücke Barcelona–Madrid ist die Aviaco nicht mehr alleine.

Dafür haben die Maastrichter Beschlüsse über den europäischen Binnenmarkt gesorgt. Bis April 1997 will die EU den Luftverkehr vollständig liberalisieren. Wer jetzt noch rote Zahlen schreibt, hat eigentlich schon verspielt.

Aviacos Mutter Iberia, die wichtige Aktienpakete der argentinischen „Aeorolineas Argentinas“, der venezolanischen „Viasa“ und der chilenischen „Ladeco“ hält, verlor in drei Jahren fast zwei Milliarden Mark Gesellschafterkapital. Nach langen Auseinandersetzungen haben Gewerkschaften und Geschäftsführung an Weihnachten einen Sanierungsplan unterschrieben, der den Abbau von 3.500 der 24.476 Arbeitsplätze, 15 Prozent niedrigere Löhne und eine Kapitalerweiterung um 1,5 Milliarden Mark vorsieht. Jetzt muß die mißtrauische EU-Kommission ihren Segen geben, die staatliche Zuschüsse bis Ende 1996 nur noch in Ausnahmefällen genehmigt. Die Iberia wartet.

Jahrelang war der Personenverkehr ein sicheres Geschäft. Wer auf sich hielt, war mit einer nationalen Fluggesellschaft am Himmel vertreten. Die Flugpreise waren in internationalen Verträgen festgelegt. Rote Zahlen interessierten nur wenige. Charterverkehr und die Liberalisierung im EU-Binnenmarkt brachten das System ins Wanken. Nur eine der großen Gesellschaften war auf den Konkurrenzkampf vorbereitet: British Airways. Magaret Thatchers eiserne Hand hatte aus dem defizitären Staatsbetrieb ein wettbewerbsfähiges Privatunternehmen gemacht.

Die anderen hinken hinterher. Der Air France hat die EU noch für acht Milliarden staatliche Finanzhilfe genehmigt. Die sozialen Kosten der Sanierung: 7.600 Entlassungen, 20 Prozent der Gesamtbelegschaft von 42.600 sollen durch Vorruhestand und freiwillige Auflösungsverträge erreicht werden. Jetzt fällt auch das Air- France-Monopol auf den einheimischen Flughäfen, und die Staatsfirma wird in eine private Aktiengesellschaft umgewandelt. Weitere Konflikte sind vorhersehbar angesichts der harten Streiks der Flughafenbediensteten von Paris 1993.

Darüber scheint die Air France ihre internationalen Pflichten zu vergessen, klagt die belgische Sabena, deren Kapital zu 61,8 Prozent der belgische Staat, zu 37,5 Prozent Air France und eine belgischen Holding halten. Der Vorsitzende Pierre Godfroid hofft auf eine Finanzspritze aus dem Nachbarland. Eine halbe Milliarde Mark möchte er schon haben. Weil die Air France nichts mehr abzugeben hat, schaut sich Godfroid nach neuen Partnern um. Die Swissair ist im Gespräch. Auf Transatlantikrouten teilt man sich das Geschäft bereits heute mit der amerikanischen Delta Airlines. Da die Schweizer außer mit der Singapore Airlines ebenfalls mit Delta kooperieren, würde eine Zusammenarbeit mit Sabena ins Bild passen. Aber zuvor müßte die Air France ihr Aktienpaket verkaufen.

Auch im Norden hat der Wettbewerb zugeschlagen. SAS, die gemeinsame Fluggesellschaft von Dänemark, Schweden und Norwegen, baut 3.000 Arbeitsplätze ab. Der Kampf um die Passagiere führte zum Verfall der Flugtarife. Trotzdem wird die SAS 30 bis 50 Prozent ihres Stammgeschäfts an Konkurrenten abtreten müssen. Längst kreisen am Horizont weitere Billiggesellschaften. Ihr großes Vorbild ist die U.S.-South West, heute der wichtigste Inlandsanbieter in den USA. Eine ihrer europäischen Kopien nennt sich „Euro Belgian“. Ohne Zeitungen und Essen an Bord fliegt sie seit November 1994 von Brüssel aus Barcelona, Wien und Rom an. Der Einheitspreis: 175 Dollar, ein Sechstel dessen, was Sabena oder Alitalia für die Strecke nach Rom verlangen.

Natürlich fliegen auch die Italiener Defizite ein – 320 Millionen Mark 1993. Der Sanierungsplan sieht auch hier 12 Prozent Kostensenkung und 25 Prozent Produktivitätssteigerung vor. 2.000 Beschäftigte sollen entlassen werden.

Rettung aus der Not verspricht die Gründung eigener Billiggesellschaften der nationalen Flieger. Diesen Weg versuchen die Lufthansa und British Airways zu gehen. Für die Belegschaften ist der Preis hoch. Privatisierung und Aufgliederung in Einzelgesellschaften brachten Lohneinbußen und flexiblere Arbeitszeit. Bei British Airways verloren 20.000 ihren Arbeitsplatz, die Lufthansa will ihre Belegschaft um 17 Prozent verringern. In der Bilanz lohnt der Schnitt. Im dritten Quartal 1994, nur zwei Jahre nach ihrer schwersten Krise, schreibt die Lufthansa 220 Millionen Mark Gewinn, British Airways im letzten Geschäftsjahr gar 670 Millionen Mark.

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