: Aus dem Flüchtlingsheim an die Front
In Wohnheimen in Halle werben bosnische Militärs Bürgerkriegsflüchtlinge an / Kaum rechtliche Handhabe gegen die Anwerber / Stellungnahme der bosnischen Botschaft erbeten ■ Von Eberhard Löblich
Magdeburg/Bonn (taz) – Bosnische Militärs versuchen offensichtlich, in deutschen Flüchtlingsheimen Bürgerkriegsflüchtlinge für den Fronteinsatz im Kampf gegen die bosnischen Serben zu rekrutieren. Auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten Mattias Gärtner von der PDS bestätigte die Landesregierung von Sachsen-Anhalt, daß auch ihr mindestens ein Fall solcher Anwerbeversuche bekannt sei.
Der Regierung sei bekannt, heißt es in der Antwort des Magdeburger Innenministeriums, daß Vertreter der von General Alagiz geführten bosnischen Truppen ein Wohnheim in Halle, Gellertstraße 17, aufgesucht haben. Die Truppenvertreter wollten bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge für den Kampfeinsatz in Bosnien und Herzegowina gewinnen. In mindestens einem Fall sei ein Bewohner des Heimes diesen nachdrücklichen Aufforderungen zum Fronteinsatz auch gefolgt. „Dieser Flüchtling ist inzwischen jedoch wieder nach Halle zurückgekehrt“, teilte SPD- Innenminister Manfred Püchel auf die Anfrage Gärtners mit.
Dem PDS-Abgeordneten sind dagegen allein aus Sachsen-Anhalt mehrere derartige Rekrutierungsversuche bekannt. „Die Anwerber waren nach meinen Erkenntnissen in mindestens zwei Heimen allein in Halle und hatten auch bei mehr Flüchtlingen Erfolg, als die Landesregierung offenbar weiß“, sagt er. Mehrere Flüchtlinge hätten sich sogar nach ihrer Rückkehr vom Fronteinsatz mit ihren Taten gebrüstet.
Püchel räumte ein, daß die Bewohner der Flüchtlingsheime von den Anwerbern verbal unter Druck gesetzt wurden. Ihm sei allerdings nicht bekannt, ob den Bürgerkriegsflüchtlingen ernsthafte Sanktionen nach ihrer Rückkehr nach Kriegsende angedroht wurden, falls sie den Fronteinsatz verweigerten.
Während man in der politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes in Bonn derartige Anwerbeversuche für rechts- und völkerrechtswidrig hält, sieht das Magdeburger Innenministerium dagegen keine rechtliche Handhabe. „Man könnte den Anwerbern höchstens Hausverbot erteilen, wenn man sie als solche erkennt“, sagt ein Sprecher des Magdeburger Innenministeriums. Das sei aber bislang nicht der Fall gewesen.
Im Kinkel-Ministerium in Bonn weiß man, daß die Anwerbeversuche in Sachsen-Anhalt kein Einzelfall sind. „Wir wissen auch aus anderen Ländern von vereinzelten solchen Anwerbeversuchen“, sagt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. „Wir haben die bosnische Botschaft offiziell um eine Stellungnahme zu diesen Vorfällen gebeten.“ Eine Antwort der Botschaft stehe allerdings noch aus.
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