Berliner Tagebuch: Hinter den Toten
■ Berlin vor der Befreiung: 24. April 1945
Foto: J. Chaldej/Voller Ernst
Das Reichssportfeld soll zurückerobert werden. Verstärkungen sind aus den Deutschen Werken und den Stützpunkten ringsum herbeigeeilt. Alles Hitlerjungen von 10 bis 14 Jahren, die noch nicht in die Uniform des Volkssturms oder der Wehrmacht gesteckt waren, sind in Spandau und Ruhleben aus den Häusern geholt worden. Es sind fast zweitausend Hitlerjungen und tausend Soldaten. Punkt 10 Uhr soll der Gegenangriff losbrechen. Von der U- Bahnstation aus haben sich ebenfalls zwei Kampfgruppen in der Richtung auf das Reichssportfeld vorgekämpft und können bis zu diesem Zeitpunkt in der Höhe des Stadions sein.
Es ist kurz vor zehn. Vor der Kaserne schießen plötzlich ein paar Granatwerfer auf das Reichssportfeld. Punkt zehn erheben wir uns aus den Gräben und stürmen vor. Rasendes Infanteriefeuer schlägt uns entgegen. An der Böschung sind wir einen Augenblick gedeckt. Hinter den Häusern stecken Russen, die eilig vor uns herflüchten und in ihr eigenes Feuer laufen. Dann sind wir auch schon oben, und das Reichssportfeld liegt vor uns. Von links tönt ebenfalls Kampflärm herüber. Dort laufen sie schon über das Feld. Der Gegner zieht sich in Richtung nach der Heerstraße zurück. Langsam, Schritt für Schritt. Fächerartig sind die Truppen über das Feld verstreut und gehen vor. Zwischen den Soldaten laufen die Hitlerjungen und suchen ihre Waffen zu benutzen. Da rasen plötzlich aus den Sportler- Häusern MG-Salven und mähen die Reihen nieder. Immer mehr stürzen zu Boden. Wir legen uns hinter die Toten und eröffnen das Feuer. Helmut Altner
zitiert nach: Burkert/Matußek/ Oberschernitzki, „Zerstört Besiegt Befreit“, Edition Hentrich, Frölich & Kaufmann, Berlin 1985. Der Autor war 1945 Hitlerjunge.
Recherche: Jürgen Karwelat
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