piwik no script img

■ ErinnerungenMythos und Wahrheit

Der ehemalige Kriegsberichterstatter Jonny Thompson im Gespräch mit der taz.

taz: Seit der Besetzung Korfus durch die Italiener 1923 waren Sie als Korrespondent ...

Thompson: Damals mit erst neunzehn Jahren ...

... bei vielen Konflikten dabei, vom Spanischen Bürgerkrieg bis Korea, haben auch hinter den feindlichen Linien gearbeitet und dabei viel über die Widerstandsbewegungen erfahren. Wenn Sie heute lesen, an was da alles erinnert wird, kommt das dann mit Ihren Erkenntnissen überein?

Nein. Ich kann natürlich nicht über alle Fronten oder alle Widerstandszirkel urteilen, weil ich ja nicht überall war, und viele Widerstandskämpfer auch Amerikanern mißtrauten. Aber ich weiß von vielen Zirkeln, die nach der Befreiung ihres Landes einen Mythos aufgebaut haben, daß sie im Grunde ein paar vorsichtig geäußerte Widerworte zu riesigen Akten des Widerstands aufgebauscht haben.

Ein vernichtendes Urteil ...

Überhaupt nicht. Im Gegenteil, es gab viel mehr tapfere Widerstandskämpfer, als wir heute annehmen. Nur: Diejenigen, die ich an vielen Stellen als wirkliche Helden, mutige Kämpfer, tatkräftige Helfer Verfolgter erlebt habe, sind im allgemeinen weder zu Lebzeiten noch posthum zu großen Ehren gekommen. Ich habe in Holland Leute kennengelernt, die nachts und ohne jegliche Deckung durch Kameraden den Deutschen Zeitzünderbomben unter die Panzer gelegt haben. In Frankreich Frauen, die todkranke Männer, die auf den Deportationslisten standen, auf ihrem Rücken kilometerweit in Sicherheit geschleppt haben. Aber von denen spricht keiner. Der Widerstand ist nahezu überall sofort nach dem Krieg in die Hände derer gelangt, die den Herren des Wiederaufbaus genehm waren. In Deutschland hat es lange gedauert, bis man Kommunisten als ehrenvolle Widerstandskämpfer ansehen durfte. Besonders eindrucksvoll waren für mich einige Nachkriegsbesuche in Italien, wo speziell in den „roten Regionen“, also dort, wo die kommunistischen Partisanen dann das Regiment übernahmen, noch bis in die 50er Jahre hinein auch nur die Erwähnung von Leute tabu war, die zwar als junge Leute Faschisten gewesen, dann aber ausgestiegen waren und sogar aktiv gegen die Deutschen gekämpft hatten.

Warum haben nicht Leute wie Sie gegengesteuert und die Wahrheit ans Licht gebracht?

Das hatte verschiedene Gründe. Einerseits habe ich im Geheimdienst mitgearbeitet und war daher für lange Zeit zum Stillschweigen verurteilt; in manchen Bereichen bin ich es immer noch. Als ich dann hätte reden können, so ab Mitte der 70er Jahre, als Präsident Carter mit der Reform der CIA auch viele Dokumente freigab, hatte ich den Eindruck, daß sich sowieso kaum mehr jemand für die Wahrheit interessiert.Interview: Werner Raith

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen