■ 8. Mai 1995: Wer wann wo feiert
„Aus Anlaß des 50. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges hat Bundespräsident Roman Herzog einen Staatsakt angeordnet.“ So lautet die Order. Zum Berliner Festakt am Abend des 8. Mai werden die Staatschefs der vier Siegermächte erwartet. Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand, der britische Regierungschef John Major und Rußlands Ministerpräsident Victor Tschernomyrdin haben schon zugesagt. Die USA vertritt wahrscheinlich Vizepräsident Al Gore. Alle Staatschefs werden auch am 7. Mai in London dabeisein, wenn Königin Elisabeth II. ein feierliches Festbankett kredenzt. Kohl wird sich an diesem Tag sputen müssen, denn am gleichen Tag wird er in Berlin zur Einweihung der Neuen Synagoge erwartet, die 1943 völlig zerstört worden war.
Einen Tag später treffen sich alle Staatschefs vormittags unter dem Arc de Triomphe in Paris wieder, um der Friedensrede Mitterrands zu lauschen. Am 9. Mai endet das Gedenken dann in Moskau. Seite an Seite mit Mitterrand, Major, Boris Jelzin und Bill Clinton wird Kohl dort ein neues Ehrenmal für die Gefallenen einweihen. Sowohl in Moskau als auch in Berlin wird der Kanzler hinter das Rednerpult treten. Wie seine Berliner Rede ausfallen wird, ist abzusehen. Der 8. Mai müsse „Raum für vielerlei Empfindungen bieten“, erklärt Kohl seit kurzem, „keiner hat das Recht festzulegen, was Menschen an diesem Tag in ihren Erinnerungen zu denken haben.“
Doch ein bundesdeutscher Staatsakt wäre keiner, käme es nicht zu diversen Peinlichkeiten. Ursprünglich wollte auch die polnische Regierung in Berlin mitfeiern – immerhin war Polen erstes Opfer des Angriffskriegs der Nazis. Doch das ficht den Kanzler nicht an. Er lehnte das Begehren der polnischen Regierung strikt ab. Man könne schließlich nicht auch noch Dänemark, die Niederlande, die Slowakei und andere vom Zweiten Weltkrieg betroffene Staaten einladen. Kommen sollten die, die 1990 auch etwas zur deutschen Vereinigung beigetragen hätten. All das führte im März zu Verstimmungen im deutsch-polnischen Verhältnis. So wurden die Feierlichkeiten verdoppelt. Am Freitag findet nun eine gesonderte Gedenkfeier von Bundestag und Bundesrat in Bonn statt. Einziger ausländischer Gast und Redner: der polnische Außenminister Wladislaw Bartoszewski. Am Rednerpult außerdem: Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) und Johannes Rau (SPD) in seiner Funktion als Bundesratspräsident. Zum feierlichen Abschluß spielt die „Philharmonie der Nationen“ auf – unter der Leitung von Justus Franz. flo
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