: "Es muß und kann gespart werden"
■ Der ÖTV-Vorsitzende Herbert Mai über die Tarifrunde im öffentlichen Dienst / Statt auf Personalabbau setzt er auf Umschichtungen / Werden überflüssige Verwaltungssachbearbeiter bald zu Altenpflegern...
Bei den Tarifverhandlungen für die 3,4 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben die Arbeitgeber Lohn- und Gehaltserhöhungen von 2,5 Prozent angeboten. Mit Vereinbarungen über flexiblere Arbeitszeiten sollen zudem die Überstunden billiger werden. Erwartungsgemäß haben die Gewerkschaften ÖTV und DAG abgelehnt. Sie wollen ein Ergebnis erreichen, das sich an den 3,4 bis 3,8 Prozent orientiert, mit denen die gewerbliche Wirtschaft abgeschlossen hat. Die taz sprach mit dem ÖTV-Vorsitzenden Herbert Mai über die Tarifrunde und die Umschichtungen im öffentlichen Dienst.
taz: Herr Mai, viele Beobachter betrachten Tarifrunden nur noch als ermüdendes Ritual. Langweilen Sie sich bei Tarifverhandlungen?
Herbert Mai: Ich habe ja schon zwölf Tarifrunden miterlebt in der engeren Verhandlungskommission. Es ist für mich immer wieder spannend, weil trotz der gegensätzlichen Interessenlage doch immer wieder anders argumentiert wird. Was ist denn neu an der diesjährigen Argumentation?
In dieser Tarifrunde ist die Frage der Modernisierung und die Frage Ost-West das Thema geworden. Die Frage der Modernisierung ist ein spannendes Themenfeld, was man aber nicht nur mit Kosteneinsparungen, Kompensationen an zwei, drei Punkten behandeln kann.
Sie sind gegen die Kompensationen, etwa bei der Überstundenbezahlung, die von den Arbeitgebern gefordert werden?
Ich bin strikt gegen Kompensationsgeschäfte in dieser Tarifrunde. Ich bin auch gegen Vereinbarungen über umfangreiche Strukturveränderungen innerhalb dieser Runde. Das kann man in zwei, drei Verhandlungsrunden nicht bewältigen.
Sind Sie der Meinung, daß im öffentlichen Dienst gespart werden muß?
Ich denke schon, daß gespart werden muß und gespart werden kann, nur nicht bei den Lohnkosten des einzelnen Beschäftigten, sondern bei den Strukturfragen.
Zum Beispiel?
Die Abläufe des Verwaltungshandelns beispielsweise können erheblich verkürzt werden, und Zeit ist ja auch Geld. Auch bei den Hierarchieebenen kann man reduzieren.
Das sind aber doch Rationalisierungsmaßnahmen. Man braucht weniger Arbeitszeit für den gleichen Akt. Letzten Endes heißt das doch, auch Arbeitsplätze einzusparen.
Man muß bei sechs Millionen Arbeitslosen insgesamt darauf achten, auch politisch, daß wir diese Problematik immer im Auge haben und nicht noch erhöhen. Nur haben wir uns nie dagegen gewehrt, daß man auch mit weniger Personal mehr leisten kann. Was in einigen Bereichen dann Abbau heißt.
In welchen Bereichen?
Als klassisches Beispiel wird da immer der Straßenbau genannt. Wenn ich nicht mehr soviel Straßen baue, brauche ich auch nicht mehr soviel Personal.
Das heißt, hier könnte man Personal reduzieren?
Der Meinung bin ich nicht, ich habe nur gesagt, das wird immer als klassisches Beispiel genannt. Wir haben in Hessen ein interessantes Projekt, in dem es heißt: Es kommt auf Umschichtung an. Das heißt, die Beschäftigten, die ich habe, kann ich anderswo sinnvoll einsetzen. Das ist meine These für den öffentlichen Dienst insgesamt. Wir brauchen mehr Leute in der Altenpflege. Wir brauchen mehr ErzieherInnen. Wir brauchen im Bereich der Kommunen mehr Arbeitskräfte für den Umweltschutz.
Umschichtung ist aber noch keine Kostenreduzierung. Vorhin sagten Sie aber, Sie seien auch für Einsparungen.
Ich bin für die Erhöhung der Produktivität des einzelnen. Das bringt insgesamt eine Kostenentlastung und Kostenersparnis, also auch eine Haushaltsentlastung. Ich bin aber auch der Meinung, daß der öffentliche Dienst nicht gleichgesetzt werden kann mit Mercedes, wo es darauf ankommt, mit 2.000 Leuten weniger mehr zu produzieren. Sondern ich muß gucken: Was brauchen wir an Daseinsvorsorge? Zu glauben, die öffentlichen Haushalte könnten sich generell von Personalkosten entlasten, der Glaube geht in die Irre.
Heißt Umschichtung auch Umschulung?
Ich seh' da schon die Umschulungsfrage. Warum soll nicht der, der Brücken geplant und gebaut hat, künftig Radwege planen?
Und der Sachbearbeiter wird dann Altenpfleger?
Das kann man in Einzelfällen auch tun. Der Bergmann aus dem Ruhrgebiet hat sich beispielsweise auch umschulen lassen müssen zum Krankenpfleger. Wir haben eine Menge Bergleute im Ruhrgebiet, die Krankenpfleger geworden sind.
Gibt es denn überhaupt schon Modelle von Reformen im öffentlichen Dienst, wo in Zusammenarbeit mit der ÖTV Besitzstände aufgegeben wurden?
Da ist einiges verändert worden in Modellen wie beispielsweise im Main-Kinzig-Kreis, in Saarbrücken, in Kiel. Ein Beispiel ist der Abbau von Hierarchien mit den entsprechenden hohen Eingruppierungen. Oder wir haben in Kliniken in Hessen einen Tarifvertrag, daß die besonderen Belastungen auch noch mit Freizeit ausgeglichen werden können, nicht mehr nur mit Geld. Interview: Barbara Dribbusch
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