piwik no script img

Haare wie Tannenzapfen öffnet

■ Das Bremer Haaranalyse-Center von Friseur Walter Deeken in Theorie und Praxis

Seit 1963 kümmert sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Theaters Friseur Deeken um die Köpfe seiner Kundschaft. Seit zehn Jahren ziert sein Schaufenster ein vielversprechender Hinweis: „Haaranalyse-Center“. Wer es schafft, ins tiefste Innerste des Haaranalse-Centers vorzudringen, könnte enttäuscht sein. Das Center ist ein Kästchen von ca. 20 mal 6 Zentimetern. Man kann zwei Haare einspannen und an einer Kurbel drehen, bis die Haare reißen. Man erhält: zwei Werte. Doch in Wahrheit ist das Haaranalyse-Center mehr. Viel mehr.

Walter Deeken (Jg.33) sagt es so: „Jedes Haar ist verschieden.“ Ist zum Beispiel die Oberfläche „geschlossen“, heißt das für Deeken: „Da kann man nicht viel machen. Das Haar ist gesund.“ Interessant wird es erst, wenn sich die Oberfläche schuppig öffnet, schließlich gar „das Skelett“ hervortritt. Dann entsteht Handlungsbedarf. „Stellen Sie sich das Haar wie einen Tannenzapfen vor: Fällt er vom Baum, sieht er so glatt aus wie eine Wurst. Doch scheint die Sonne, geht er auf.“ Die Sonne symbolisiert hier das Altern. Dann wird das Haar „kriddelig“, porös, es steht häßlich ab. Pflege tut not.

Wenn schon die Haarstrapaze Dauerwelle, dann aber auch lindernde Pflege. Und Pflege setzt Analyse voraus. Jede Kundin, die eine Dauerwelle verlangt oder eine neue Farbe, muß zunächst zwei Haare lassen, die dem Reißtest unterzogen werden. Hat man die Werte, weiß der Profi: Wir brauchen die normale, die leichte oder die „starke Flüssigkeit, die mit Power, sonst komm ich nicht rein.“ Nicht rein mit dem Farbstoff zum Beispiel. Neue Kundinnen bekommen einen zweiten Test: Ist es vielleicht Bandhaar? Bandhaar ist so scheußlich, wie der Name klingt: Es ist im Querschnitt nicht rund, sondern oval, und nimmt mithin den Farbstoff verschieden an. Beruhigend fügt Frau Deeken hinzu: „Bandhaar ist aber nichts Krankhaftes!“

In der Kundenkartei sammeln sich Haarstärken, Reißkoeffizienten, Wicklerstärken und bevorzugte Färbe- und Pflegemittel. Am liebsten, wirbt die Friseurin, natürliche Mittel! Sie bevorzugt unbedingt Pigmente aus Pflanzenfarben und Lebensmittelfarben, am liebsten aber urschlammartige Breie aus Henna oder exotischen Hölzern. Ihre Bekehrung zur Natur geschah vor Jahren, als ihre Hände von „der Chemie“ zerfressen waren. Inzwischen spricht sie von Allergie: Als sie noch einmal das Haarwaschmittel eines „führenden Herstellers“ bei sich selbst ausprobierte, „saß gleich die ganze Kopfhaut voller Eiterstippen.“

Gern redet Frau Deeken über das einzelne Haar und welche Geschichte es erzählen kann. Da war ein Haar, das betrachtete sie unterm Mikroskop in 60-facher Vergrößerung. Da entdeckte sie eine dünne Stelle nahe dem Haaransatz. Dünne Stellen sind Problemstellen für den ernsthaften Friseur, mögliche Bruchzonen oder Gegenden unterschiedlicher Farbaufnahme. Sie zur Kundin: „Da war was in der letzten Zeit!“ Die Kundin: „Nichts war da! Höchstens meine Nulldiät.“ Ha! Erwischt. Und weiter oben am Haar war noch eine dünne Stelle. „Haben Sie vor einem Jahr auch gefastet?“ In der Tat, die Kundin hatte. „Das A und O sag' ich immer ist eine gesunde und gleichmäßige Ernährung,“ predigt Frau Deeken.

Walter Deeken selbst hat „normales Haar“, gesund, fast weiß, mit einer kühnen Dauerwelle. Seine Jungfriseurin, wir machen den Test, hat überhaupt kein Bandhaar, nein: völlig rundes Idealhaar. Beim Autor selbst lassen sich nach längerem Suchen zwei verzichtbare Haare hinreichender Länge finden. Niederschmetterndes Ergebnis: Bandhaar! Reißkoeffizient: 2,5/4! Hier spricht man schon fast von krankem Haar! Frau Deeken packt fürsorglich schnell eine Probe Pflegeshampoo ein.

Das nämlich ist das Haaranalyse-Center: Wissenschaft plus Herr Deeken plus Frau Deeken. Die lange Erfahrung analysiert selbstverständlich mit. Oder, wie Frau Deeken sagt: „Ganz wichtig ist ja mein Gucken. Mein Hinterhaken. Mein Fragen, wie gehe ich rein?“ In das Haar. Das verschiedene Ding.

Burkhard Straßmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen