: Ein Kapitän in Pantoffeln
Willi und Marlis Ney gehören mit ihrem fast sechzig Jahre alten Schiff zu einer aussterbenden Generation / Kiesfahrten halten sie über Wasser ■ Von Barbara Bollwahn
Das Ruder fest in der Hand, sitzt Willi Ney am Steuer seiner „Mariental“. Sie hat zwei Jahre mehr auf dem Schiffsrumpf, als der 57jährige Eigner auf dem Buckel. Rechnet man die acht Jahre Schulzeit ab, die er bei der Großmutter und einer Pflegefamilie verbracht hat, hat er sein ganzes Leben auf der „Mariental“ verbracht, die den Namen des Geburtsortes seines Vaters trägt.
Nach dessen Tod hat Willi Ney als „vierte Generation“ das Schiff übernommen. Seit der Heirat 1959 schippert er mit seiner Frau Marlis durchs Wasser. Bis zur Wende war auch noch sein Sohn an Deck, der sich dann allerdings ein eigenes Tankschiff zulegte. Seitdem teilt sich Willi Ney die kleine Kajüte auf dem 240-Tonnen-Schiff wieder allein mit seiner Frau.
Auch wenn das Leben auf dem Schiff bescheiden ist, Häuslichkeit muß sein. Wie in einer „richtigen“ Wohnung hängen Gardinen an den kleinen Fenstern und stehen Fotos der Enkel auf dem Schrank; wenn Willi Ney am Steuer sitzt, hat er Hausschuhe an. Neben dem Wohnzimmer ist das Schlafzimmer, das aus zwei hintereinanderstehenden Betten besteht. „Früher, als wir noch schlank waren, haben wir beide in eins gepaßt“, sagt Willi Ney mit einem Augenzwinkern und streicht sich über seinen stattlichen Bauch.
An diesem Donnerstag passieren die beiden morgens um sieben die Schleuse in Kleinmachnow. Sie haben 240 Tonnen Kiessand geladen, die sie von Niegreb bei Brandenburg in den Neuköllner Hafen bringen. Wenn alles gut läuft, schaffen sie die Strecke, für die sie etwa siebzehn Stunden brauchen, zweimal in der Woche. Die Zeiten, als Willi Neys Vater Postpakete und Getreide transportierte, sind längst vorbei. Auch die Wasch- und Futtermittelfahrten zu DDR- Zeiten gehören der Vergangenheit an. Für die von einigen spöttisch als „300-Gramm-Schiffe“ titulierten Finowmaße wie das der Neys bleibt nur noch Kies und Sand.
„Früher waren wir die meistgefragten Schiffe“, sagt Willi Ney. „Jetzt sind wir die letzten fünf Prozent der Marktwirtschaft.“ Sie sind zwar derzeit noch zu neunzig Prozent ausgelastet, doch durch den Wegfall der Festtarife ist an Rücklagen nicht zu denken. „Die Situation ist sehr ernst“, so Willi Ney. Nachdem das Schiff den Krieg und auch die versuchte Verstaatlichung zu DDR-Zeiten überstanden hat, ernährt es die Neys, die von der Märkischen Transportgesellschaft befrachtet werden, noch bis zur Rente. Dann ist Schluß.
Der Abschied wird auch Marlis Ney nicht leicht fallen, obwohl sie zwei Jahre brauchte, um sich an das Leben auf dem Wasser zu gewöhnen. Nach der Devise „Wer A sagt, muß auch B sagen“ tauschte sie nach der Heirat die Wohnung in Neubrandenburg gegen Bug und Heck. „Zum Zirkus wäre ich aber nicht gegangen“, betont sie. Obwohl sie nicht aus einer Schifferfamilie stammt, war ihr die Schiffahrt nicht ganz fremd. Willi lernte sie in der Werft in Brandenburg kennen, wo sie im Büro arbeitete und mit Fachausdrücken bereits vertraut war – zumindest auf dem Papier. So lernte sie, daß ein „Kielschwein“ nicht etwa ein ungehobelter Schiffer ist, sondern eine Versteifung, die durch den ganzen Schiffskörper geht. Das Rückgrat sozusagen. Kurze Zeit später machte sie den Bootsmann- Brief. „Ohne meine Frau wäre ich erledigt“, sagt Willi Ney. Nicht nur daß die Einstellung eines Bootsmannes viel zu teuer wäre. „Was nützt mir meine Frau an Land?“ fragt er und nimmt seine Frau in den Arm.
Die beiden sind ein eingespieltes Team. Während Willi Ney das Schiff durch den Kanal steuert, läßt seine Frau den Kaffee durch den Filter laufen. Eine Kaffeemaschine gibt es ebensowenig an Bord wie ein Bad. Das Plumpsklo ist so niedrig, daß man kaum stehen kann. Durch die „Futterluke“ reicht sie ihrem Mann den Kaffee, belegte Brote und Kuchen. Nach zwei Stunden Fahrt auf dem Teltowkanal meldet die Wasserschutzpolizei über Funk eine Ölhavarie. Kurz vor Tempelhof macht die „Mariental“ neben der „Antje“ fest. Horst und Bärbel Maler, die auch für die Märkische Transportgesellschaft fahren und Kies geladen haben, kommen auf ein Gläschen Sekt rüber. In der Zwangspause setzt Willi Ney sein Motto „Erst kommt die Schiffsfahrt, dann das Vergnügen“ für zwei Stunden außer Kraft. „Unter den Ostschiffseignern gibt es mehr Zusammenhalt“, sagt er. Im Westen dagegen freue man sich über jede Pleite eines Kollegen, von der man profitieren könne.
Als die Flasche Sekt geleert ist, wird die Ölsperre aufgehoben. Mittags treffen sich die „Antje“ und die „Mariental“ im Neuköllner Hafen zum Entladen wieder, wo Kies und Sand direkt vor Ort zu Mischbeton verarbeitet werden. In den zwei bis drei Verladestunden kann Willi Ney vielleicht ein Nickerchen machen. Doch bei Motorengeräusch könnte er leichter einschlafen. Denn das ist Musik in seinen Ohren.
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