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Jahrelang verhinderte im Berliner Bezirk Steglitz eine konservativ-liberale Allianz mit allen Mitteln die Errichtung eines Mahnmals für die Opfer des Holocaust, gestern wurde es endlich eingeweiht  ■ Aus Berlin Anita Kugler

Gestern ist in Berlin – in dem gutbürgerlichen Stadtteil Steglitz – ein Denkmal zur Erinnerung an die aus dem Bezirk in die Vernichtungslager des Ostens deportierten 2.000 Juden, enthüllt worden, um das es jahrelange, erbitterte Auseinandersetzungen gegeben hatte. Kontroversen über die Errichtung von Mahnmalen oder Tafeln gibt es überall, aber was in Berlin geschah war so bizarr, daß die Geschichte fast um die ganze Welt ging.

Das Spektakuläre an der Denkmalsfindung war, daß sich im zuständigen Berliner Bezirksparlament von Steglitz eine Verhinderungskoalition zusammenfand, eine durch nichts zu erschütternde Allianz von CDU, FDP und Abgeordneten der Reps. Um alles in der Welt wollten diese verhindern, daß mitten auf ihrem hübschen Wochenmarkt der preisgekrönte Entwurf der beiden Künstler Wolfgang Göbel und Joachim von Rosenberg auch tatsächlich aufgestellt wird. Denn das eigentlich schmerzende und provokante an diesem Denkmal war und ist, daß der Betrachter sich in dem Mahnmal widerspiegelt. Auf einer neun Meter langen und über drei Meter hohen polierten Edelstahlwand sind die Namen, Geburtsdaten, Adressen der Deportierten eingraviert und wer sie lesen oder auch nur daran vorbeigehen möchte, erkennt das eigene Bild hinter den Verschwundenen und Ermordeten. Das Denkmal ist nicht diskret, anonym, symbolisiert nicht den Verlust, sondern konfrontiert mit dem Verlust. Und genau deshalb wollten es die CDU-FDP-Rep- Abgeordenten nicht und kein Argument dagegen war ihnen beim Verhindern zu schade: Zu teuer, zu groß, prinzipiell überflüssig, weil doch ein zentrales Denkmal auf dem Potsdamer Platz gebaut werden soll, dann wieder fürchtete man Vandalen, usw. usw.

Das Gezerre wurde so abenteuerlich, daß dem Berliner Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) nach drei Jahren Debatte schließlich der Kragen platzte. Er hob die Bezirksautonomie auf und entschied im vergangenen Sommer, daß das Mahnmal gebaut wird und zwar so groß und glänzend wie von den Künstlern geplant. Und so steht es nun seit gestern da, die Namen, die Bäume des Wochenmarkts, den Regen, die Sonne, das eigene Bild zurückspiegelnd. Wunderschön und im wahrsten Sinne des Wortes eindrucksvoll.

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