Sanssouci: Vorschlag
■ Zu Hof, Wasser, Zelt, Haus oder Klub: Die Metropole jazzt
Noch ist Berlin nicht New York, zumindest aus der Jazzperspektive nicht. Da hält sich Berlin eher dezentral bedeckt, und die Veranstalter schwanken sich mit provinziellem Risikomut so durchs Jahr. Das ging auch einige Zeit ganz fein, dank tatkräftiger Subventionen für allerlei Obskures, Waghalsiges und nicht immer Hörenswertes. Daß der Publikumsrückgang dann allgemeine Züge annahm, längst nicht nur Berlin und den Jazz allein betrifft, ist eine bedauernswerte Sache, gewiß. Daß man darauf mit einem Überangebot reagiert, scheint jedoch eine Berliner Spezialität zu sein – etwa von der Sorte: ein leerer Saal klingt zwar nicht gut, aber cool ist er doch irgendwie. Dann lieber doch ein voller Hof, ein schweißtreibendes Zelt, ein tiefliegendes Boot oder ein bewährter Keller, von dem in der nächsten Woche noch die Rede sein wird.
Wo werden Sie denn morgen hingehen, wenn Sie heute keine Zeit haben? Zum Beispiel um zum Eröffnungskonzert der Hofkonzerte in den Schmiedehof der Schultheiss-Brauerei in Kreuzberg zu pilgern und etwas rustikal-urbane Biergarten-Atmosphäre zu schnuppern, um Musik zu hören, die einen komischen Namen hat. Nämlich: Tibetan Dixie meets Australia. Von Musikern gespielt, die eigenartige Biographien haben. Und sich treffen, um daraus was zu machen. Eigentlich kommt der Tibetan Dixie Leader aus Berlin, spielt Schlagzeug und komponiert und heißt Niko Schäuble. Bevor er 1989 nach Australien auswanderte, gründete er die „legendären“ Berliner Tibetan Dixie, von denen jetzt mal als bekannt vorausgesetzt wird, daß sie etwas spielten, was man beim Kultursenat für förderungswürdig befand und das von religiöser Musik aus Tibet inspiriert schien. In Australien komponierte Schäuble später eine Suite mit dem Namen „Ya-it-ma Thang“, der sich auf Sprache und Kultur der Aborigines bezieht, die 1992 beim Wangaratta-Jazz-Festival uraufgeführt, auf CD veröffentlicht wurde (Timeless CD SJP 412) und jetzt als Opener für die Hofkonzerte im Schmiedehof und Podewil (Samstag) als Vorlage dient für Musiker aus Berlin, die in Berlin und Australien wohnen, und Musiker aus Australien, die zum Teil in Süddeutschland und der Schweiz ihr Domizil wählten.
Das also wäre heute angesagt, denn morgen geht's beim Rag'N'Jazz-Festival mit der Berliner Jazzszene aufs Wasser, und zwar mit Association Urbanetique, Ernst Biers Little Shop of Jazz, Mack Goldsburys Electric Connection und und und, und zwar von 15 bis 20.30 Uhr mit dem Schaufelraddampfer „Havel Queen“ ab der Greenwich-Promenade in Tegel. Abends warten dann Branford Marsalis im Tempodrom und Ralph Peterson im Haus der Kulturen der Welt und Irakere im Franz-Klub auf Sie. Hat schon was von Metropole, oder? Christian Broecking
Tibetan Dixie Meets Australia: Heute, 20 Uhr, Schmiedehof der Schultheiss-Brauerei, Methfesselstraße 28–48, Kreuzberg; morgen, 20 Uhr, Podewil, Klosterstraße 68/70, Mitte
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