: Am Rande auf dem Lande
■ Pöbelnde Heteros schrecken Lesben und Schwule in Friesland längst nicht mehr
Mein schwuler Freund aus Berlin rief mich unlängst an. Ob ich denn einen kleinen Ort im Friesischen kennen würde, da wolle er hinziehen. Er hatte sich in den wahrscheinlich einzigen Schwulen am Ort verliebt. Raus aus Berlin, rein in die spriessende Natur auf dem Lande. Keine Szene-Kneipen? No Problem, zu hause sei es eh am schönsten. Keine schwulen Kinos? Die wenigen einschlägigenFilme kenne er schon. Und das fehlende schwulende Flair in dem Kaff? Dafür sei die Luft ja besser.
Zwei Wochenenden in dem 3.000 EinwohnerInnen zählenden Ort ernüchterten meinen Freund. „Das ist ja entsetzlich da!“, da möchte er nicht tot über der Zaunlatte hängen, als Schwuler schon gar nicht.
„Naja, spannend ist es wirklich nicht für Schwule und Lesben in Ostfriesland“, meint Joachim (*). Geboren und aufgewachsen in Emden, lebt der 23jährige dort seit einem Jahr offen schwul. 52.000 Menschen leben in Emden. Aber die Statistik versagt: Demnach müßten mindestens 2.500 EmderInnen homosexuell sein. „Wir sind aber höchstens 20 Schwule, vielleicht nochmal 20 Lesben“, sagt Joachim. Und die anonymen Schwulen machen auch keine erbauliche Gruppe aus. Einziger Treffpunkt ist daher eine „Heten-Kneipe“, die aber immerhin sehr tolerant sei. „Da kann man sich einigermaßen frei bewegen, aber die Heten senden immer wieder komische Blicke zu uns“, sagt Ute, seit einem Jahr in Emden.
„Mindestens einmal im Monat fahre ich nach Nürnberg, sonst wird mir hier allles zu eng“, erzählt sie. Ihre schlimmsten Vorahnungen über die lesbische Szene Emdens haben sich jedoch nicht bestätigt: „Es gibt mehr Lesben, als ich gedacht hatte, aber eine große Auswahl haben wir nicht“. Treffen die 20 oder 30 Frauen sich einmal im Monat in der zur Frauenkneipe mutierten Heten-Bar, wird es familiär. Die Beziehungswechsel in der Mini-Szene oder Veränderungen des persönlichen Outfits – von der Polit-Lesbe zum Butch oder zur Lederfrau – bekommen garantiert alle mit.
Die große Freihheit war Emden vor Jahren für Angelika. In ihrem kleinen ostfriesischen Heimatdorf lebte überhaupt keine Lesbe. „Früher dachte ich schon, daß mit mir irgendwas nicht stimmt, weil es einfach keine anderen Frauen gab“, sagt sie. In Emden lernte sie Frauen und die kleine Szene kennen. „Heute verstecke ich mich nicht mehr“, meint sie. Wenn Angelika ihre Freundin in der Emder Fußgängerzone küßt, pöbeln zwar manche Leute, aber da reagiert sie schon lange nicht mehr drauf. Trotzdem wird sie demnächst wegziehen, und das nicht nur bis Aurich.
Seit zwölf Jahren sind die Emder Schwulen und Lesben in einer Gruppe organisiert. Anfangs trafen sich meist nur zwei oder drei Männer in den Räumen von Pro Familia. Jetzt kommen immerhin 15 Frauen und Männer regelmäßig zu den Treffen.
Durch eine offensivere Öffentlichkeitsarbeit der Gruppe konnten sie Hemmungen und Ängste der vorher versteckt Lebenden abbauen. Die Gruppe ist für die Homosexuellen in der Stadt und Umgebung die einzige feste Anlaufstelle, somit auch der einzige Freiraum für das Coming-out. Mittlerweile gibt es sogar eine Gruppe für schwule Väter. Einmal im Monat treffen sie sich nun in den abends unbenutzten Räumen der städtischen Drogenberatung am Hafenrand. „Viele haben immer noch Angst zu kommen“, sagt Joachim. „Es könnte ihnen jemand auflauern und ins Wasser werfen“.
Ulrike Fokken
* Alle Namen von der Redaktion geändert
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