: „Der Spirit bei den Leuten muß stimmen“
Im Kreuzberger Hauptquartier der Love Parade laufen die Vorbereitungen für den Umzug auf dem Ku'damm auf Hochtouren / Sponsoren sorgen für Trinkbecher, Toiletten und T-Shirts / Verdient wird angeblich nichts ■ Von Thomas Enslein
Kreuzberg. Am Dienstag nachmittag. „planet.com“ steht auf der Klingel in der Schlesischen Straße 27. Statt eines abgedackelten Hinterhof-Lofts präsentiert sich wider Erwarten ein adrett geweißtes Gewerbehofgebäude. Architektenbüros daneben. Feine Adresse, durchaus.
Das fünfköpfige Veranstalterteam der Love Parade hatte sich vor kurzem eigens hier eingenistet. Senatsintern konnte man sich erst Anfang Juni darauf einigen, da es sich bei der Love Parade nun doch um eine politische Demonstration handle. Und nicht – wie zunächst von Innensenator Heckelmann (CDU) vermutet – um eine Kommerzveranstaltung mit seichtem Tralala-Charakter.
Vielleicht gab es die Erlaubnis nicht zuletzt auch deshalb, weil BSR und Alba sich zur Übernahme der Reinigungskosten bereit erklärt hatten, die im Falle einer genehmigten Demo die Stadt hätte tragen müssen. „Doch das ist alles bloß spekulativ. Was da genau lief, weiß keiner“, meint Verena Faigel. „Knappe vier Wochen Zeit blieben jedenfalls nur noch, um alles in die Wege zu leiten.“
Die Projektleiterin steht für Rede und Antwort als einzige zur Verfügung. In dem weitläufigen Büro mit zwei Ebenen und großzügiger Fensterfront zur Spree sind alle anderen Leute sehr umtriebig. Die Telefone im Büro klingeln die ganze Zeit leise, aber anhaltend. Auf jedem der acht Arbeitsplätze steht ein angeschalteter Laptop oder ein MacIntosh. Kleine gelbe Kronen auf der Auslegeware und der Empfangscounter verleihen dem Ganzen ein wenig Volksbank- Flair.
Auch die Organisationsstruktur des Teams hat sich in diesem Jahr sichtlich verfeinert: Neben Verena Faigel gibt es noch Pessereferatsleiter Peter Lützenkirchen, Trash- Terminator-Koordinator Ralf Regitz sowie eine Info-Pool-Organisatorin, Bea Kahlke. Ganz im Sinne des neuen Anti-Müll-Konzepts sollten alle Clubs ihre Dates ans Büro der planet.com schicken. Dort wurden sie gesammelt.
Am Samstag gibt es die Dates dann als Ganzes statt unzähliger Einzelflyer. Über dreihundert Freiwillige hatte man per Radiojingel gesucht. Sie kommen als Trash- Terminators zum Einsatz, um die Müllberge vom letzten Jahr zu verhindern – der Abfall soll sogar getrennt entsorgt werden.
„Dieses Engagement – die Leute machen das ja völlig freiwillig – zeigt vielleicht auch, daß wir die Love Parade als Demonstration verstehen. Wir demonstrieren zwar nicht ausdrücklich für oder gegen was – wir demonstrieren einfach etwas – nämlich den Frieden. Und daß ein friedvolles Miteinander keine Utopie ist“, erklärt Verena Faigel.
Denn Techno ziehe sich schließlich durch alle Altersschichten, Weltanschauungen und Hautfarben hindurch. „Ich komme aus der Veranstalterbranche, aus dem Rock-Bereich, und Techno ist im Vergleich wirklich das Friedvollste, was ich je erlebt habe.“
Zweifel über den mildtätigen Zweck der Veranstaltung waren im letzten Jahr vor allem wegen der regen Sponsorenbeteiligung aufgekommen. Nicht nur bei Senator Heckelmann. Boxenbestückte Wagen karrten die kreischenden, hysterischen Massen einen Nachmittag lang den Ku'damm einmal rauf, dann wieder runter.
In Erinnerung blieb außer der Massenhysterie und dem eigentümlichen Geruch von Benzinmuff mit einer Prise Schweiß eigentlich wenig. Von einer Message, womöglich gar politisch, ganz zu schweigen. Außerdem: Mit etlichen Reisebussen angekarrte Provinz-Kids standen sich vor dem Techno-Tempel E-Werk schon am Vorabend die Füße platt, um endlich ihre dreißig Mark Eintritt loszuwerden. Am Abend der Love Parade kostete die Tanz-Ekstase bereits ravige fünfundfünfzig Mark. Bei anderen Clubs in der Stadt war es nicht besser.
„Wir organisieren das ganze Drumherum und stellen den Rahmen. Für den Rest sind diejenigen zuständig, die daran teilnehmen. Darauf haben wir als Veranstalter natürlich wenig Einfluß. Genauso wenig wie auf das Erscheinungsbild der 33 Wagen“, erklärt Ralf Regitz.
Aus allen Teilen des Bundesgebiets haben sich Clubs zusammengeschlossen, um eine der heißbegehrten Genehmigungen zu bekommen. „Wir hatten uns mit der Stadt darauf geeinigt, den Lärm zu reduzieren, einfach dadurch, daß wir weniger Wagen als das letzte Mal fahren lassen.“
Die Finanzierung der reinen Organisationsarbeit läuft ähnlich wie bei den Umzugswagen – fast ausschließlich über Sponsoring. „Zunächst haben wir ja Kosten ohne Ende. Eine Telefonrechnung in wirklich astronomischer Höhe zum Beispiel. Oder das ganze Porto. Von der Werbung, den Plakaten ganz zu schweigen. Und schließlich konnten wir selbst ja keine vier Wochen umsonst arbeiten“, sagt Projektleiterin Verena Faigel.
Des weiteren hat man sich in diesem Jahr eine Reihe von Vorkehrungen einfallen lassen, „die behördlich für eine Demonstration noch nicht mal vorgeschrieben sind ... So werden etwa zahlreiche Toilettenwagen, verstreut auf dem Kurfürstendamm, aufgestellt. Auch der Sanitätsdienst will bezahlt werden. „Wir sind dabei natürlich gnadenlos auf Sponsorengelder angewiesen. Insoweit wollen wir auch Kommerz haben. Ganz klar. Natürlich hat das einen Werbeeffekt, aber das ist bei Sponsoring auch so üblich. Direkt daran verdient wird ja erst mal nichts.“
Als Hauptgeldgeber tritt Reynolds (Camel) in Aktion. Die Finanzen wollte das Love-Parade-Team allerdings nicht weiter beziffern. Auch am neuen Umweltkonzept beteiligt sich der Zigarettenkonzern: An fünfzehn gestifteten Ständen soll in Pfandbechern kostenlos Trinkwasser ausgeschenkt werden. Alba und die BSR stellten zusätzlich noch 240 Müllcontainer bereit – zur gefälligen Benutzung. Puma liefert über dreihundert Love-Parade- T-Shirts.
Alle Sponsoren sind übrigens mehr oder minder handverlesen, denn „der Spirit muß stimmen“, meint Allroundorganisator Ralf Regitz. „Adidas, die denken immer, sie wären die Oberschlauen, und wollen sich an keine Vorgaben halten. Die haben eigentlich nie Verständnis für die House- und Technobewegung gezeigt. Die haben wir deshaln dann auch nicht genommen.“
Um den großen Reibach gehe es bei der Love Parade ohnehin nicht. Ralf Regitz winkt ab. Andererseits hänge man auch keinem „verstaubten Linksdogmatismus hinterher, der keine Markt annimmt.“ Vielmehr versuche man sich innerhalb des Systems seine Nischen zu schaffen, die zwangsläufig einer ökonomischen Basis bedürfen. „Es macht einfach Spaß, sich in einem Lebensraum zu engagieren, mit den man sich identifizieren kann.“
Dennoch: Viele trauen dem Braten nicht so ganz. „Vielleicht hängt die ganze Skepsis auch damit zusammen, daß Techno nur schwer einzuschätzen ist. Da manche noch immer neben diesem Phänomen stehen und sich fragen: Was passiert hier eigentlich?“, vermutet Verena Faigel.
Da hilft nur eines: ausprobieren und am Samstag hingehen. Verspürt man urplötzlich das Bedürfnis, schauerliche Urlaute auszustoßen, dann weiß man: Der Spirit kommt an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen