■ Das Märchen vom ach so friedlichen Skandinavien
: Strahlendes Doppelspiel

Die DänInnen sind jahrzehntelang hinters Licht geführt worden. Die gleichen PolitikerInnen, die ihnen von der entspannungssichernden Atomwaffenfreiheit des Landes erzählten, pflichtbewußt gegen Flottenbesuche von möglicherweise mit A-Bomben bewaffneten Flugzeugträgern und U-Booten protestierten, die alle Verantwortlichkeiten nach dem Thule-Absturz von sich wiesen – sie erlaubten heimlich den USA, im Land Atombomben zu lagern und es tagtäglich mit diesen zu überfliegen. Die USA machten das Doppelspiel mit, ließen sich einerseits für ihre Atombewaffnung von Kopenhagen öffentlich prügeln, um andererseits das dänische Territorium ungestört in ihre strategischen Pläne einbeziehen zu können. Wären nicht dieser „dumme“ Absturz eines Atombombers und die Aufmerksamkeit einiger Ärzte gewesen, die dem Grund auffälliger Strahlenschäden nachgingen, die verstohlene Allianz wäre wohl nie aus den Kellern der geheimen Regierungsarchive ans Licht ge-

kommen.

Ist das permanente Verarschen der DänInnen durch Regierungen aller Farbschattierungen vorwiegend eine innenpolitische Frage, mit der sich nun ein Untersuchungsausschuß befassen soll, so war der atomare Deal zwischen Washington und Kopenhagen doch nur Teil eines Puzzles, das ganz Nordeuropa abdeckte. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und bis zu Beginn der neunziger Jahre war dieses vermeintliche Gebiet relativer Entspannung mit zwei neutralen Ländern und zwei „atomwaffenfreien“ Nato-Mitgliedern „zweiter Klasse“ in Wirklichkeit ein Zentrum der militärstrategischen Vorbereitungen beider Supermächte.

Deutlicher sichtbar auf östlicher Seite durch massive Flotten-, Truppen- und die vermutlich weltweit dichteste Atombombenkonzentration. Vor der unruhigen Bevölkerung hübsch versteckt im Westen. Nicht nur das „atomwaffenfreie“ Dänemark hatte eine Schlüsselstellung in der atomaren Nato-Strategie. Das offiziell ebenfalls atomwaffenfreie Norwegen spielte eine zentrale Rolle im unterseeischen Nato- U-Bootkommunikationssystem. Die Basen wären primäres Ziel eines atomaren Erstschlags geworden. Das neutrale Schweden saß tatsächlich fest auf dem Schoß der Nato, und das offiziell ebenso neutrale Finnland spielte auch ein erfolgreiches diplomatisches Doppelspiel, dessen Einzelheiten jetzt ihrer Enthüllung harren. Noch nachträglich müßte den NordeuropäerInnen, vermeintlich so sicher im Abseits der Weltmachtspannungen schlummernd, der ruhige Nachtschlaf vergehen.

Reinhard Wolff, Stockholm