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Literatur mit grünem Punkt

Schwer winkt der Kochlöffel. Romane für Sofa und Herd: Antonia S. Byatts „Geisterbeschwörung“ und Jacqueline Devals „Kochbuch“  ■ Von Elke Brüns

Schlechte Laune? Verabredung geplatzt? Der Liebste nervt? Man nehme: ein Liegemöbel, hinreichende Mittel zur oralen Ersatzbefriedigung und „Geisterbeschwörung“ – Antonia Byatts Roman. Ist Kaminfeuer vorhanden, bitte anwerfen (zur Not: Dimmer dramatisch hoch und runter drehen), denn „an einem stürmischen Spätnachmittag des Jahres 1875“ trifft sich das Romanpersonal zur Séance. So klangvoll die Namen, so exotisch die Berufe: Die Damen Lilias Papagay und Sophy Sheekhy verdingen sich als Medien, Mr. Hawke ist Diakon der Swedenborgianischen Kirche des Neuen Jerusalem, Kapitän Jesse glorreich pensioniert als Erretter dreier Schiffsmannschaften und eines gebrochenen Frauenherzens, und noch die harmlose Mrs. Hearnshaw reimt sich auf „stürmisch“, denn Earnshaw heißt die schrecklich nette Familie in Emily Brontäs „Sturmhöhe“. Wir sind also mittendrin im viktorianischen Zeitalter, genauer: in dessen Literatur.

Die Namen sind nicht nur gut gewählt, sondern setzen auch das Erfolgsrezept der Romane Byatts fort, die als Verwirrspiel um Fiktion, Zitat und Literaturgeschichte(n) konstruiert sind. Die Figuren beschwören die Geister der Toten, so wie die Autorin hier medial an den poeta laureatus der viktorianischen Ära, Alfred Tennyson, andockt. Allerdings nimmt nicht dieser selbst an den Séancen teil, sondern wird – spiritueller Hausbesuch – eher heimgesucht von Sheekhy: Man ist geneigt, in dieser Szene ein unfreiwilliges Selbstproträt der Autorin zu erblicken.

Es sind die Frauen, die Kontakt mit den Toten suchen: Mrs. Hearnshaw verlor fünf Kinder, Papagays Gatte ist auf See verschollen, und Emily Jesse trauert noch um ihre Jugendliebe Arthur Hallam, der vor der Hochzeit starb. Diese Liebesgeschichte ist echt, denn die verehelichte Emily Jesse, Tennysons Schwester, war mit dessen Freund, dem Poeten und Essayisten Hallam verlobt – im Zentrum des Fiktiven steht also eine authentische Geschichte.

Im Spannungsbogen zwischen zwei Séancen werden Lebensgeschichten und Gefühlswelten der Figuren rekonstruiert – sie leben von, mit und in der Literatur. Daß Hallam und Tennyson ihre Verlobten in gleichlautenden poetischen Wendungen sprachverführen, ist der Autorin Hinweis auf die Macht romantischer Bilder in den Köpfen des lesesüchtigen weiblichen Publikums: Wahre Liebe gibt es eben nur noch in der Literatur.

Und die behauptet ihr Recht. Tennyson schrieb 17 Jahre an dem Gedicht „In Memoriam“, das, 1850 veröffentlicht, den toten Freund zum Gegenstand nationaler Trauer erhob. Emily hingegen wählt nach neun Trauerjahren eine eher unpoetische Lösung: Statt dem ironisch zitierten Bild der ewig trauendern Braut zu entsprechen, wird sie – physical attraction – Mrs. Jesse, des Kapitäns Gattin. Der „Conjugial Angel“ – so der Originaltitel – ist als Bild so doppeldeutig wie Mr. Hawkes lüsterne Auslegungen der Ideen des Geistersehers Swedenborg.

Das Gedicht ist Emily ein ständiger Stachel: Beweis für die anscheinend größere Trauer. Auch ein Beweis für die größere Liebe? Natürlich spart Byatt nicht mit zarten Anspielungen auf die homoerotische Tönung der Beziehung beider Männer, geradezu wissenschaftlich korrekt mit Textbelegen. Ob Emilys in Séancen kultivierte Trauer hingegen Tribut an die Konventionen, an das Bild der ewigen Braut oder ganz einfach an die wirklich große Liebe ist – heaven knows. Vermutlich ist es einer der vielen Psycho-Schleichwege, Eros und Moral zu verbinden, die Peter Gay in seiner Geschichte der Liebe und Sexualität im bürgerlichen Zeitalter so nett beschrieben hat.

Auch wenn die Botschaft der zweiten Séance sehr irdischer Natur ist und der Plot etwas enttäuscht: Vorher heißt es dem Tod ins fahle Anlitz schauen, seltsame Erscheinungen sehen, automatische Schriften entziffern. Byatt hat Frauen in diesem Roman als Medien für Texte inszeniert: Sheekhy sieht als Vision, was die Schrift verheißt, Emily ist die Leserin als Dechiffrierkünstlerin und Papagay, die erotische Phantasien in ihre automatischen Aufzeichnungen schmuggelt, betätigt sich ganz legal als Agentin der Umschrift. Obwohl Byatts Romane spannend geschrieben und gut konstruiert sind, hat sie im Zitieren, Aufzeichnen und Umschreiben der viktorianischen Ära in „Besessen“, „Morpho Eugenia“ und „Geisterbeschwörung“ anscheinend selbst so etwas wie automatisches Schreiben entwickelt: Man nehme eine Literaturepoche, Anspielungen, Zitate, Namen und die avancierte Literaturwissenschaft als ironische Würze, und geschickt verrührt ergibt sich ein Lesevergnügen.

Diesem medialen Erfolgsrezept folgt auch – und leider à la lettre – Jacqueline Deval mit ihrem „Kochbuch für Liebende – Ein kulinarischer Streifzug mit Originalrezepten von Charles Baudelaire bis Virginia Woolf“. Angeblich ist dieses „Kochbuch“ ein Roman. Heute weiß ja keiner mehr, warum eigentlich alle möglichen Texte so heißen, und auch Jacqueline Deval weiß es nicht. Offenbar schrieb hier auch ein Lesemedium, denn die Rezepte berühmter Literaten sind garniert mit etlichen Geschichten um Koch-, Eß- und Trinksitten der Autoren und dem Zusammenhang dieser oralen Passion mit der Passion Liebe. Daraus wäre sicher eine interessante Abhandlung über die Küchengeschichte der Literatur unter besonderer Berücksichtigung von irgendwas geworden. Oder da es das schon gibt, hätte es auch eine launige Sammlung der Art „Schriftsteller in Schürze“ getan. Statt dessen sind Rezepte und Anekdoten eingerührt in eine Liebesgeschichte um Pomme und Jeremy, die so überflüssig ist wie Süßstoff an Bratkartoffeln.

Gerade da, wo es hätte spannend werden können, hat die Autorin kurz die triste Realität mitstenographiert: Pomme verführt, dann irgendwie ungeklärt Trennung, sie schreibt ihm, er antwortet nicht und – immerhin! – Mademoiselle sinnt auf Rache, vermutlich, damit überhaupt mal was passiert. Die muß natürlich tödlich sein und, weil's ums Essen geht, auch thematisch passend – nein, wie sie es anstellt, wird nicht verraten –, nur soviel: originell, originell. Das Ärgerlichste aber ist der Stil, der wohl sinnlich, genußreich, vermutlich ein sprachkulinarisches Vergnügen sein soll, aber so gestelzt ist wie Plunderstücke, die als Konfiserie gelten wollen.

Daß ihr kein Roman, sondern nur ein literarisches Diätkochbuch gelungen ist – viel Aufmachung, Lesehunger bleibt – muß Deval beim Rumrühren in der Literaturgeschichte geschwant haben, denn schwer winkt der Kochlöffel: Verliebt lauscht Pomme „gebannt“ Jeremys sehr origineller Idee, Musik sei anderen Künsten überlegen, aber „nachdem er ihr das Herz gebrochen hatte“, betrachtet sie „jeden voller Skepsis, der gewisse Formen der schöpferischen Tätigkeit als weniger bedeutungsvoll, weniger anerkennenswert, überhaupt als weniger deklarierte“.

Byatts und Devals Texten sind Literaturangaben angefügt, bei Deval locker im Seminarumfang. Ist der Zustand der Literatur heute ihre Theorie? Ein Roman das Appetithäppchen für mehr? Oder wird hier – wie auch in Umberto Ecos Universalbibliotheken im handlichen Zwei-Kilo-Buchformat – schriftökologisch bewußt recycelt: der Roman mit dem grünen Punkt. Da Lady Byatt ihrem Rezept treu zu bleiben scheint – im nächsten Buch verlieben sich Märchenforscherin und Dschinn – ein Vorschlag für Madame Deval: „Diätbuch für Dilettantinnen: Eine mechanische Aneignung mit Originalabweisungen von Virginia Woolf („Orlando kam zu dem Schluß, daß die Literatur, da sie alle diese Galadiners esse, sehr korpulent sein müsse“) bis Ingeborg Bachmann („Poesie muß den Hunger wiedererwecken, ehe sie ihn stillt“).

Bis dahin viel Spaß beim Kochen, und bitte in Zukunft Küchenabfälle nicht wieder in den Papiercontainer werfen!

Antonia S. Byatt: „Geisterbeschwörung“. Roman. Aus dem Englischen von Melanie Walz. Insel 1995. 184 Seiten, geb., 38 DM.

Jacqueline Deval: „Kochbuch für Liebende. Ein kulinarischer Streifzug mit Originalrezepten von Charles Baudelaire bis Virginia Woolf“. Roman. Aus dem Amerikanischen von Chris Hirte und Andrea Voss. Byblos 1995. 208 Seiten, geb., 49,80 DM.

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